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Die THTR-Rundbriefe aus 2006

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THTR Rundbrief Nr. 106, April 2006


Störfall im AKW Koeberg/Südafrika:

Keine Sabotage, sondern erschreckende Normalität!

In Koeberg bei Kapstadt sind seit 1984 zwei Druckwasserreaktoren mit jeweils 900 MW Leistung in Betrieb. Wirklich? Inzwischen kaum noch. Der Kraftwerksstandort, an dem in den nächsten Jahren noch ein Hochtemperaturreaktor hinzukommen soll, hat inzwischen im südlichen Afrika für zahlreiche Diskussionen gesorgt, weil die Energieversorgung immer öfter zusammenbricht. Mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft – und für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika im Jahre 2010!

Die beiden einzigen Atomkraftwerke der südlichen Hemisphäre wurden von dem französischen Konzern Framatome erbaut. Die CASTOR-Behälter für den nuklearen Müll lieferte die Gesellschaft für Nuklear-Behälter (GNB) aus Essen und Mühlheim/Ruhr. Es ist die gleiche Firma, die 1992 die 305 THTR-Castoren für den Transport ins Zwischenlager Ahaus herstellte.

Damit der Nuklearbetrieb wie am Schnürchen klappt, muss natürlich auch das Wartungspersonal topfit sein. Darum kümmert sich die "World Association of Nuklear Operators" (WANO), die in ihrer Zeitung "Inside Wano" Nr. 12 im Jahre 2004 über die Schulungen des AKW-Personals berichtete: "Dem Programmverantwortlichen und Leiter des Fachbereichs Produktion, Kevin Engel, zufolge, hat es einige Zeit gedauert, die erfahrenen Schichtleute von diesem neuen Schulungsansatz zu überzeugen." Es ist wirklich unglaublich! Dem Personal bei der Produktion der gefährlichsten Energieform, die es überhaupt gibt, muss erst noch in langwieriger Überzeugungsarbeit klargemacht werden, dass ihre eigene optimale Schulung äußerst wichtig ist. Das lässt tief blicken. Wie hart die Motivationsarbeit sein musste, ist aus folgender Passage erkennbar: "Was die Schulung betrifft, bringt der Schulungsleiter Thegan Govender die Herausforderung, vor der die Ausbilder stehen, auf den Punkt: ‚Auf dem Weg zu exellenter Ausbildung ist die Festlegung von Anweisungen, Prozessen und Indikatoren der leichte Teil, entscheidend für dauerhaften Erfolg beim Erreichen exzellenter Schulung aber ist es, die Herzen und das Bewusstsein des Personals zu Verändern.‘" Zum Schluss waren die Schulmeister des Wartungspersonals aber sehr zufrieden: "Abschließend lässt sich sagen, dass die nukleare Sicherheit und die Anlagenleistung dazu gewonnen haben."

Kerzen in Kapstadt

Sonderlich nachhaltig kann der "Erfolg" nicht gewesen sein. Schon ein Jahr später setzte wieder der nukleare Schlendrian ein. Eine angebliche "Anomalität in einem Sicherheitsssystem" führte im Dezember 2005 zu einer Abschaltung des Atomkraftwerkes. Das Parlament des Landes wurde in Dunkelheit gestürzt, durch überlastete Notstromaggregate brachen mehrere Brände aus und in mehreren Wolkenkratzern fiel der Strom aus. Inzwischen avancierten Kerzen und Notstromaggregate zum Kassenschlager in Kapstadt. Nach weiteren Ausfällen auch zur heiligen Weihnacht setzte ein großes Rätselraten ein, ob etwa das Bedienungspersonal mit ernsthaften Problemen im Reaktor zu kämpfen hätte.

Ein Expertenteam aus Frankreich reiste an und zerlegte den schadhaften Generator von Block eins komplett. Ende Januar war klar, dass ein acht Zentimeter langer Bolzen irgendwie in das Generatorinnere gelangt war und erheblichen Schaden angerichtet hatte. Es begann eine fieberhafte Suche nach gebrauchten Reaktorersatzteilen, denn eine Neuanfertigung hätte etwa ein Jahr gedauert.

Nachdem also Block eins drohte, für lange Zeit auszufallen, bahnte sich neues Ungemach an. Block zwei müsste eigentlich planmäßig für den Brennelementeaustausch ebenfalls abgeschaltet werden. Es kostete einige Überredungskünste, die internationale Atomenergiebehörde zu überzeugen, dass das vorläufig aufgrund der äußerst angespannten Energieversorgungssituation nicht geht. Die verbleibenden Uranvorräte im Reaktor werden bei geringerer Last länger gestreckt als ursprünglich geplant. Unterdessen musste sich der südafrikanische Stromversorger ESKOM im Parlament scharfe Kritik an ihrer Öffentlichkeitsarbeit gefallen lassen. ANC-Parlamentarier drängten auf eine plausible Erklärung für die AKW-Havarie. Die gab es jedoch nicht.

Ende Februar vermutete die Umweltorganisation Earthlife Africa, dass die Millionenstadt Kapstadt nur knapp einem größeren Atomunfall entgangen sei. DPA meldete am 27. 2. 2006: "Als ‚letzte Verteidigungslinie‘ hätten nur die Dieselgeneratoren (...) den Reaktor vorm Überhitzen geschützt. ‚Wenn diese letzte Verteidigungslinie versagt, ist eine Kernschmelze in der Tat drin‘, sagte Maya Aberman von der Umweltgruppe Earthlife Africa der Zeitung ‚Star‘. (...) Die Wirtschaft bezifferte den Schaden durch Stromausfälle in ersten Schätzungen auf 70 Millionen Euro. Betroffen sind Krankenhäuser, Dienstleister und Restaurants, aber auch Obst- und Weinfarmer. Die Nobelmarken der Winzer am Kap sind wegen des Ausfalls der Kühlungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Ausfälle sind vor der Kommunalwahl am 1. März zum Politikum geworden und haben zudem besorgte Fragen nach der Energiesicherheit beim Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 ausgelöst."

Destabilisierung der Wirtschaft droht

Inzwischen beklagen viele große Firmen die mangelnde Planungssicherheit in Sachen Energie. "Mehrere Rohstoffkonzerne haben wegen zunehmender Zweifel an einer verlässlichen Energieversorgung angekündigt, milliardenschwere Investitionspläne überdenken zu wollen. Der Rohstoffkonzern BHP Billiton hat erstmals offen Zweifel an der Energiepolitik des südafrikanischen Strommonopolisten geäußert. Angesichts der unsicheren Versorgungslage habe man inzwischen ernsthafte Befürchtungen, aktuelle Expansionspläne könnten wegen fehlender Energie nicht realisiert werden. (...) ESKOM hat kürzlich ein Infrastrukturprogramm in Höhe von 85 Mrd. Rand über fünf Jahre angekündigt, mit deren Hilfe die Energieversorgung in Südafrika bis zum Jahr 2010 modernisiert werden soll. Kritiker sagen, das Programm sei eher der Beweis dafür, was der Stromversorger in den vergangenen zehn Jahren an dringend notwendigen Investitionen versäumt habe."(1) Jahrzehntelang hat Südafrika aufgrund eigener Überkapazitäten an seine Nachbarstaaten Energie zu den weltweit niedrigsten Preisen exportiert und jetzt droht eine riesige Stromlücke. 800 Stromausfälle allein im Jahre 2005 in Johannesburg (2) sprechen eine deutliche Sprache.

Terroristen im Atomkraftwerk?

Einen Tag vor der für Kapstadt besonders wichtigen Kommunalwahl meldete DPA am 28.02.2006: "In Südafrika haben Unbekannte einen der beiden Reaktoren in Südafrikas Atomkraftwerk Koeberg durch Sabotage vorsätzlich zum Stillstand gebracht. Der für öffentliche Unternehmen zuständige Minister Alec Erwin erklärte am Dienstag, ein Unfall sei ausgeschlossen." Die südafrikanischen Umweltschützer schätzen das Bekennerschreiben einer angeblichen islamischen Terroristengruppe als höchst unglaubwürdig ein, da es mit drei Monaten Verspätung ausgerechnet einen Tag vor der Kommunalwahl veröffentlicht wurde. Ganz offensichtlich sollte mit dieser Meldung nach monatelangen peinlichen Diskussionen über schlampige Wartung und Aufsicht in dem Atomkraftwerk Koeberg von dem Fehlverhalten von Regierung und Betreibern abgelenkt werden. Dilettantischer und offensichtlicher geht es nimmer.

Trotzdem fand sich noch acht Tage nach dem Vorfall mit Wilhelm Dietl der Leiter des Essener (!) Instituts für Terrorismusforschung, der seine Mutmaßungen über islamische Terrorgruppen verbreitete und von der TAZ bis zum Neuen Deutschland ausführlich zitiert wurde. Selbstverständlich gibt es die Gefahr terroristischer Angriffe auf Atomkraftwerke; darauf haben wir schon mehrfach hingewiesen. Aber in diesem Fall dürfte die angebliche Sabotage ein äußerst plumpes Ablenkungsmanöver der Verantwortlichen sein. Bereits am 6. März, also fünf Tage nach der Kommunalwahl und noch zwei Tage vor den dubiosen TAZ- und ND-Meldungen, musste der südafrikanische Minister für Staatsunternehmen, Alec Erwin, zurückrudern und dementieren. Am gleichen Tag erfolgte ebenfalls die "frohe Botschaft" , dass die Ersatzteile für das Atomkraftwerk gefunden wurden und in einem Monat in Kapstadt eintreffen würden (3).

Was bleibt, ist der offensichtliche Versuch, die eigene Inkompetenz mit Verschwörungstheorien zu vernebeln. Der regierende ANC musste übrigens in Kapstadt eine Niederlage einstecken. "Es scheint, als habe ESKOM – und nicht etwa die Polizei – eine immense Aufgabe vor sich. Die ‚Sabotage‘ war vermutlich eine Nachlässigkeit. Aus Koeberg ist ein politischer Spielball geworden" schrieb am 3. März 2006 "Namibia Plus-online".

PBMR-Bau verzögert sich

Mit dem Bau des Hochtemperaturreaktors, in Südafrika Pebble Bed Modular Reactor (PBMR) genannt, wird wahrscheinlich nun doch nicht pünktlich im Jahre 2007 begonnen werden können. In Pelindaba, in der das gesamte nicht-nukleare System des Reaktors erprobt werden soll, ist noch nicht einmal die Pilotanlage einsatzbereit. Die Fabrik zur Herstellung der notwendigen Brennelemente, an der bundesdeutsche Firmen beteiligt sind, ist ebenfalls noch nicht im Bau. Earthlife Africa konzentriert sich bei seiner Kritik am PBMR zur Zeit auf wirtschaftliche Aspekte. Die Kosten für die Erprobungsphase dieses Reaktors sind von 1999 veranschlagten 2 Milliarden Rand auf bisher heute 14,5 Milliarden gestiegen.

Die Inbetriebnahme wird sich also Verzögern. Das kennen wir vom THTR in Hamm-Uentrop zu Genüge. Inwieweit die Querelen um das Atomkraftwerk Koeberg den AKW-Gegnern wirklich Auftrieb geben werden, bleibt abzuwarten. Es mehren sich schon die Stimmen, dass neben den beiden Druckwasserreaktoren in Koeberg noch schnell ein weiteres "normales" AKW gebaut werden soll, um den riesigen Strombedarf zumindest mittelfristig decken zu können.

Ironie der Geschichte: 1982 hatte ein bewaffnetes ANC-Kommando das im Bau befindliche Atomkraftwerk Koeberg teilweise zerstört und dadurch die Inbetriebnahme verzögert (4). Aber damals war das AKW noch in der Hand des verhassten Apartheidregimes. Heute ist das natürlich etwas ganz anderes.

"Stromlücke" auch in Namibia

Die nuklearen Pannen in Koeberg betreffen auch das benachbarte Namibia. Hier beträgt der Energiebedarf im Spitzenlastbereich 500 Megawatt, wovon aber nur 382 Megawatt selbst produziert werden (5). Deswegen existiert ein Zehnjahresvertrag für die Stromlieferung mit Südafrika. Wegen eigener Energieengpässe kann Südafrika jetzt nicht mehr liefern und Namibia sitzt in der Patsche. Energiesparen war auch hier bisher ein Fremdwort. Seit Anfang Januar 2006 ist das völlig unrentable 30 Jahre alte Kohlekraftwerk "Van Eck" in Windhoek wieder angefahren worden, obwohl es offiziell seit zehn Jahren stillgelegt war.

Der Energieversorger Nampower führt inzwischen Kampagnen für Stromsparen durch und bemüht sich, im Eiltempo vernachlässigte Anstrengungen auf dem alternativen Energiesektor nachzuholen. Erst jetzt kommt der Leiter für das erneuerbare Energie-Programm zu folgender Erkenntnis: "Namibia habe im Jahresdurchschnitt weltweit eine der höchsten Sonneneinstrahlungen und die Bevölkerung lebe mit zwei Personen pro Quadratkilometer weit verstreut. Dies habe zur Folge, dass ein nicht unerheblicher Teil in Gebieten lebt, die auf absehbare Zeit nicht an das Stromnetz angeschlossen werden können. Erneuerbare Energien böten hier die Lösung für Beleuchtung und Heißwasser" (6).

Inzwischen werden in den verschiedenen Regionen Informationstage durchgeführt und von der Bank Windhoek Solar-Kredite für die Anschaffung von Solaranlagen angeboten. Vereinzelt werden in den Internetportalen Stimmen laut, die die Einführung eines Energie-Einspeisungs-Gesetzes für alternative Stromproduzenten nach bundesdeutschem Muster fordern. Die Menschen müssen sich in allernächster Zeit einiges einfallen lassen, um die riesige Stromlücke in den nächsten Jahren zu beheben. Hierzu sind hohe Investitionen notwendig und es ist unklar, woher das Geld kommen soll.

Uran und Rassismus

Viel Geld wird dagegen in andere Vorhaben hineingesteckt. Etwa 112 Millionen US-Dollar investiert der australische Konzern Rio Tinto in den zusätzlichen Ausbau der Uranmine Rössing, der die Genehmigung für eine Produktionsverlängerung bis 2016 erhalten hat. "Für die kommenden zwei Jahre will Rössing jährlich 4000 Tonnen Uranoxid abbauen. Dieses erhöhte Produktionsziel soll u. a. 150 weitere Arbeitsplätze schaffen" (7) Und was internationale Kooperationspartner angeht, ist der namibische Staat auf diesem Gebiet sehr agil: Alle möglichen Ministerien planen eine intensive Kooperation mit China zur Ausbeutung und Weiterverarbeitung von namibischen Bodenschätzen.

Die Arbeit in den Uranminen ist sehr gesundheitsgefährdend. Deswegen sollte wenigstens der Lohn der Arbeiter stimmen. Die 450 Mitglieder der Minenarbeitergewerkschaft (MUN) demonstrierten in der Mine Rössing für eine Lohnerhöhung und fuhren mit Firmenbussen in die Stadt. Die deutschsprachige "Allgemeine Zeitung" fiel in schlimmster Kolonisatoren-Manier verbal über die Demonstranten her. Der Gewerkschaft wurde vorgeworfen "eher dumm, unüberlegt und machtgierig eine Meute" aufzuwiegeln und sich wie eine "wild gewordene Horde" aufzuführen. Und zur Benutzung der Firmenbusse schrieb dieses Blatt: "Hier gehört ihnen ein Tageslohn abgezogen" (8)!! Das ist exakt die Sprache der weissen Herrenrasse, die offensichtlich noch so frech und selbstbewusst wie früher ist.

Die geplante neue Uranmine "Langer Heinrich" ist entgegen den Protesten der Umweltschützer zu 40 Prozent fertiggestellt worden und soll im September 2006 ihren Betrieb aufnehmen (9). Das Uran soll in die USA geliefert werden. Die Vorbereitungen für den Bau noch einer weiteren Uranmine laufen bereits: "Die vorläufige Umweltstudie für die geplante Uranmine an der Tekkopje ist am Montag in der Stadthalle von Arandis veröffentlicht und zur Diskussion gestellt worden. Rund 70 Kilometer nordöstlich von Swakopmund will das Unternehmen Gulf Western Trading (Pty) Ltd unter dem Namen UraMin (Pty) Ltd eine Uranmine aufbauen" (10)

Diese Fehlentwicklung im Energiebereich bleibt selbst im Internet-Forumbereich der "Allgemeinen Zeitung" nicht ganz ohne Widerspruch: "Das ist ja ein netter Kreislauf: Die deutsche Regierung zahlt Entwicklungshilfe an Namibia, die Regierung in Namibia erschliesst damit unrentable Uranminen. Südafrika steuert die notwendigen zweifelhaften Gutachten bei. Deutschland kauft ‚graues‘ Uran zu erhöhten Preisen und betreibt damit unsichere Reaktoren. (...) Umwelt und Bevölkerung werden wie üblich auf der Strecke bleiben." Es folgt die Empfehlung, unsere www.thtr-a.de Seiten zu lesen. Was auch geschieht.

Horst Blume

 

Anmerkungen:

  1. Allgemeine Zeitung Windhoek, 1. 3. 2006
  2. Namibia Plus Online, 3. 3. 2006
  3. Allgemeine Zeitung Windhoek, 6. 3. 2006
  4. THTR-Rundbrief Nr. 85, 2003
  5. Allgemeine Zeitung 9. 2. 2006
  6. Allgemeine Zeitung 3. 2. 2006
  7. Allgemeine Zeitung 15. 12. 2005
  8. Allgemeine Zeitung 12. 1. 2006
  9. Allgemeine Zeitung 1. 3. 2006
  10. Allgemeine Zeitung 8. 3. 2006

 

Nachhaltig teure Generation IV

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Im THTR-Rundbrief haben wir bereits in zahllosen Artikeln (1) über die Generation IV, zu der auch der Hochtemperaturreaktor gehört, berichtet. Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm "Generation IV" wird von zehn Staaten (2) durchgeführt, um den Bau der Atomreaktoren der kommenden Jahrzehnte vorzubereiten.

In der Energiefachzeitschrift BWK (3) 11/2005 befindet sich ein sehr ausführlicher Bericht von Walter Tromm und Thomas Schulenberg über den Stand der Dinge. Die Autoren, die in dem "Atomausstiegsland" BRD so sehr für den Einstieg in diese Reaktorlinie werben, sind nicht irgendwer. Tromm ist seit 2004 stellvertretender Programmleiter des Programms Nukleare Sicherheitsforschung am Forschungszentrum Karlsruhe. Schulenberg ist seit 2000 Leiter des Instituts für Kern- und Energietechnik im FZ Karlsruhe.

Als Erstes freuen sich die beiden Atombegeisterten in dem Artikel, dass seit 2003 durch die Mitgliedschaft von EURATOM auch Deutschland (und damit sie selbst) hochoffiziell richtig innovative Nuklearforschung für die Zukunft betreiben darf. Denn hier bei der Generation IV geht es um den Atommarkt der Zukunft: Die Produktion von Wasserstoff und Prozesswärme soll mit der Nuklearenergie gekoppelt werden.

Eine wirklich revolutionäre Umdeutung aller alten Begriffe findet in dem höchst innovativen Beitrag statt: "Nachhaltigkeit. Der Begriff impliziert, Kernenergie heute so zu nutzen, dass künftigen Generationen die Möglichkeit zur Kernenergienutzung im gleichen Umfang wie heute erhalten bleibt"!! Da können wir aber beruhigt sein. Folgende Reaktorsysteme sind 2002 von dem exklusivem Generation IV-Club auserwählt worden, in Zukunft in die engere Wahl zu kommen:

  • VHTR: Gasgekühlter Höchsttemperatur-Reaktor
  • GFR: Gasgekühlter schneller Reaktor
  • SCWR: Wassergekühlter Reaktor mit überkritischen Dampfzuständen
  • LFR: Bleigekühlter schneller Reaktor
  • MSR: Salzschmelze-Reaktor
  • SFR: Natriumgekühlter Reaktor

Die beiden Wissenschaftler stellen ausführlich den Entwicklungsstand der jeweiligen Systeme dar und betonen, dass durch Experimente und Untersuchungen die für die Zukunft wichtigsten Reaktoren herausgefunden und weiter optimiert werden sollen. Denn allen Typen der Generation IV sind verschiedene Defizite und Probleme gemein und hier wird es interessant:

  • "Alle Systeme der Generation IV gehen von Betriebs- und Störfalltemperaturen aus, die jenseits der vorliegenden Erfahrungen der Nuklearindustrie und auch aller bereits gesammelter Erfahrungen mit in der Entwicklung befindlichen Systemen liegen."
  • Die meisten Systeme stellen "hohe Anforderungen an die Werkstoffe".
  • "Die im Rahmen des vorgesehenen Technologiefahrplans entwickelte Methodologie erlaubt nur eine begrenzte Analyse der Nichtweiterverbreitungs- und Sicherheitsaspekte. Für eine ausgewogenere und vollständigere Bewertung muss die vorhandene Methodologie deutlich verbessert werden." Mit anderen Worten: Um militärische und terroristische Nutzungsmöglichkeiten hat man sich bisher noch nicht allzuviel Gedanken gemacht.

Um bei jeder der sechs Reaktorvarianten weiterforschen zu können, beziffern die beiden innovativen "Atomausstiegs"-Wissenschaftler die Kosten mit jeweils (!) einer Milliarde Euro pro Linie. Das ist natürlich ein bisschen zu teuer und deswegen ist ihrer Meinung nach "die Erstellung integrierter Programme" angesagt, um wenigstens bei ein oder zwei Nuklearvarianten weiterzukommen. Ihr Zeitplan sieht folgendermaßen aus: "Nach Abschluss der Durchführungsstudien für jede Anlage werden noch mindestens sechs Jahre und mehrere Milliarden US-$ für eine detaillierte Auslegung der Anlagen und den Bau einer Demonstrationsanlage erforderlich sein."

Bei den Anwendungsformen der neuen Reaktorlinie sind die beiden nuklearen Trüffelschweine sehr kreativ, um den Konzernen bei den hohen Kosten den Mund wässerig zu machen: Neben der Prozesswärme sollen die Wunder-Werke auch noch bei der Papierrohstoffherstellung, der Entschwefelung von Schwerölen, der Raffination von Erdöl, sowie der Produktion von Eisen, Zement, Glas und Sprechblasen von Nutzen sein. Und warum auch nicht bei der Trinkwasseraufbereitung? Den RWE gehören ja schon ein größerer Teil der weltweiten Wasserwerke, das passt doch hervorragend zusammen...

Eilfertig ist auch schon der CDU-Wirtschaftsrat zur Stelle und forderte am 30.03.2006 in einer Presseerklärung, die Förderung der Energieforschung mit einem ganz konkreten Ziel zu verstärken: "Die staatlichen Fördermittel sollten mittelfristig verdoppelt und technologieoffen eingesetzt werden. Gleichzeitig sind die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie müssen ihre Forschung und Entwicklung in Zukunftstechnologien wie Clean Coal und Kernkraftwerke der vierten Generation verstärken."

Am 6. April musste der FDP-Bundesvize und NRW-Innovationsminister Andreas Pinkwart noch einmal nachsetzen und in der "Welt" davor warnen, dass "die bundesdeutsche Kernkraftforschung ins Hintertreffen gerät.(...) ‚Ich halte etwa den Thorium-Hochtemperatur-Reaktor für eine zukunftsweisende Technologie. (...) Pinkwart verwies auf das erste THTR-Projekt im nordrhein-westfälischen Hamm, das in den achtziger Jahren beendet wurde. Dies sei ein Fehler gewesen.

Pinkwart sieht die Bundesrepublik in einer ‚besonderen europäischen Verantwortung‘, ihre Energiepolitik zügig zu modernisieren." Die Renaissance der Atomkraft findet also in zwei Etappen statt:

In der Ersten wird an die HTR-Forschung unter sieben Jahren Rotgrün angeknüpft und es werden die nächsten Jahre noch ein paar Dutzend Millionen extra draufgelegt. Die neuen nuklearen Optionen müssen nicht mehr ganz so schamhaft verschwiegen werden, wie die Jahre zuvor. Das alles ist in der großen Koalition wahrscheinlich ohne Probleme machbar.

Um die zweite Phase des konkreten Neubaus von Generation IV-Atomkraftwerken in Deutschland in Angriff nehmen zu können, muss zur Zeit noch gewartet werden, bis sich in gut drei Jahren eine CDU/FDP-Bundesregierung nach den nächsten Bundestagswahlen etabliert hat. Aber bis dahin können die Atomfreunde die Zeit der großen Koalition noch hervorragend für vorbereitende Forschungen nutzen und "schwierige" Aktivitäten einfach über die Europäische Union abwickeln. So einfach geht das.

Wir sehen, in der Bundesrepublik geht es auch im 20. Jahr nach Tschernobyl mit dem Ausstieg aus der Atomkraft zügig voran.

Horst Blume

 

Anmerkungen:

(1) Folgende Ausgaben des THTR-Rundbriefes befassen sich mit der Generation IV:

(2) Generation IV-Staaten sind:
Argentinien, Brasilien, Britannien, Kanada, Frankreich, Japan, Südkorea, Südafrika, Schweiz und USA

(3) BWK: Das ist diejenige Zeitschrift, in der VEW-Atom-Opa Knizia unter "Top-Thema" auf der Homepage über die Vorzüge des THTR dozieren darf.

 

Wasserstoff ist nicht nur eine Frage der Technik

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Gegen Forschung und Entwicklung rund um den Wasserstoff ist an sich wenig einzuwenden. Kein anderer Energieträger verbrennt so sauber wie der Wasserstoff - im Idealfall hinterlässt er nur reines Wasser aus dem Auspuff. Die Technik gehört daher erforscht, keine Frage; sie ist eine wichtige Option in einem ökologisch verträglichen Energiesystem der Zukunft. Und dennoch hat die Entscheidung des Bundesverkehrsministers, ein "nationales Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Innovationsprogramm" zu starten, einen schalen Beigeschmack. Denn sie erweckt den Eindruck, die ingenieurtechnische Optimierung von Wasserstoff-Tankstutzen sei der entscheidende Faktor auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft.

Das ist sie mitnichten. Denn viel drängender ist ein vernünftiges nationales Energiekonzept. Wer sich nur auf technische Aspekte konzentriert, vergisst, dass Wasserstoff keine Primärenergie ist, die man einfach nutzen kann, sondern lediglich ein Energiespeicher. Jeder Wasserstoff muss erst einmal erzeugt werden - unter Einsatz von Energie.

Wer also den Wasserstoff preist, muss auch sagen, wo das wertvolle Gas künftig herkommen soll. Mittels Atomkraft erzeugt? Das würde der Atomlobby so passen. Aus fossilen Energien? Dann betankt man sein Auto lieber gleich mit Erdgas. Oder aus erneuerbaren Quellen? Prinzipiell die einzig vernünftige Lösung - allerdings auch nur langfristig, denn noch auf Jahre hinaus wird es in allen Industrieländern ökologisch wie ökonomisch sinnvoller sein, den gesamten erzeugten Ökostrom ins Netz einzuspeisen und damit andere Energieträger zu ersetzen. Denn zu hoch sind die Umwandlungsverluste bei der Wasserstoffgenese. (Aus: TAZ, 15.03.2006)

Der bekannte US-Forscher Joseph J. Roman hat in seinem aktuellen Buch "Der Wasserstoff-Boom" (Verlag Willey-VCH) die Grenzen dieser Technologie klar aufgezeigt. Martin Koch referiert ihn in seiner Buchbesprechung (im ND vom 27.03.2006, auf unserer Homepage einzusehen) folgendermaßen: "Der benötigte Wasserstoff muss aufwändig erzeugt und gegebenenfalls über lange Strecken transportiert werden. Beides kostet viel Geld. Zudem sind Risse in Tanks und Leitungen ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Wasserstoff kann bekanntlich leicht entflammen, seine Zündenergie ist zwanzigfach geringer als die von Erdgas oder Benzin."

Horst Blume

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Liebe Leserinnen und Leser!

Am 2. April berichtete das ZDF spätabends über die radioaktiven PAC-Kügelchen, die GKSS und die aufsehenerregenden Leukämiefälle rund um Geesthacht. Über diverse Suchwörter erfolgten in den drei Tagen danach über 7000 Zugriffe auf unsere Internetseiten, da ja die PAC-Kügelchen ebenfalls im THTR zur Anwendung kamen. Rundbrief NR. 82 avancierte somit zur meistgelesenen Ausgabe überhaupt. Eine Woche später wiederholte sich Ähnliches, als der GKSS-Beitrag in der Sendung "Mona Lisa" in Kurzform gebracht wurde.

Damit wir unsere erfolgreiche Arbeit fortsetzen können, erinnern wir daran, dass nicht nur die Papierform des Rundbriefes, sondern auch der Internetauftritt GELD kostet. Wir bitten also zum 20. Tschernobyl-Jahrestag um eine Spende.

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Spendenaufruf

- Der THTR-Rundbrief wird von der 'BI Umweltschutz Hamm e. V.' - Postfach 1242 - 59002 Hamm herausgegeben und finanziert sich aus Spenden.

- Der THTR-Rundbrief ist inzwischen zu einem vielbeachteten Informationsmedium geworden. Durch den Ausbau des Internetauftrittes und durch den Druck zusätzlicher Infoblätter entstehen jedoch laufend Kosten.

- Der THTR-Rundbrief recherchiert und berichtet ausführlich. Damit wir das tun können, sind wir auf Spenden angewiesen. Wir freuen uns über jede Spende!

Spendenkonto:

BI Umweltschutz Hamm
Verwendungszweck: THTR Rundbrief
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