Newsletter XLIII 2024
20. bis 26. Oktober
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Aktuelles+ | Hintergrundwissen |
Die PDF-Datei "Nuclear Power Accidents" enthält eine Reihe weiterer Vorfälle aus verschiedenen Bereichen der Atomindustrie. Einige der Ereignisse wurden nie über offizielle Kanäle veröffentlicht, so dass diese Informationen der Öffentlichkeit nur auf Umwegen zugänglich gemacht werden konnten. Die Liste der Zwischenfälle in der PDF-Datei ist daher nicht zu 100% identisch mit "INES und die Störungen in kerntechnischen Anlagen", sondern stellt eine Ergänzung dar.
1. Oktober 1981 (INES 3 NAMS 1,3) Atomfabrik Windscale/Sellafield, GBR
3. Oktober 1986 (Broken Arrow) U-Boot-Unglücke, K-219 sank östl. Bermuda
3. Oktober 1952 (Großbritanniens 1. Atombombentest) Trimouille Island, AUS
5. Oktober 1966 (INES 4) Experimenteller Brutreaktor Enrico-Fermi-1, Mi, USA
7. Oktober 1957 (INES 5 NAMS 4,6) Atomfabrik Windscale/Sellafield GBR
9. Oktober 2006 (Nordkoreas 1. Atombombentest) Punggye-ri, PRK
12. Oktober 1969 (INES 4) Atomfabrik Windscale/Sellafield, GBR
15. Oktober 1958 (INES 4) Forschungsreaktor am Boris Kidrič Institut, Vinca, SRB
16. Oktober 1964 (Chinas 1. Nukleartest) Lop-Nor/Taklamakan, Xinjiang, CHN
17. Oktober 1969 (INES 4) Akw Saint-Laurent, FRA
18. Oktober 2011 (INES 1) Akw Karachi, PAK
19. Oktober 1989 (INES 1) Akw Vandellòs-1, ESP
30. Oktober 1961 (Zar-Bombe AN602) Nowaja Semlja, UdSSR
Wir sind immer auf der Suche nach aktuellen Informationen. Wer helfen kann, sende bitte eine Nachricht an:
nukleare-welt@reaktorpleite.de
26. Oktober
Populistische Hetzer schüren Angst und aus Opfern werden Täter
Die Vorgehensweise ist bekannt und funktioniert heute genauso wie vor hundert oder tausend Jahren. Es werden Feindbilder geschaffen und die Schwächsten der Gesellschaft - Asylbewerber, Flüchtlinge, Hilfsbedürftige und religiöse Minderheiten - sind die ersten Leidtragenden.
(Ich entschuldige mich vorab für all die Verkürzungen, Vereinfachungen und Wiederholungen.)
Ob wir die Geschichte Amerikas, Deutschlands oder Israels betrachten, die Tricks der Horrorclowns sind überall und zu allen Zeiten die gleichen. Die Menschen haben traumatisierende Ereignisse erlitten und fühlen sich als hilflose, machtlose Opfer. Unter dem Druck populistischer Hetze verwandelt sich das Trauma des Opferseins dann in Wut und Aggression. Im unwiderlegbaren Bewusstsein „Ich bin hier das Opfer und habe jedes Recht, mich mit allen Mitteln zu verteidigen“, wird aus dem bemitleidenswerten Opfer ein unmenschlich grausamer Täter.
Als die weißen Siedler, zumeist arme Einwanderer aus Europa, in den Westen Amerikas vordrangen, verkauften ihnen clevere Geschäftsleute Land, das die Ureinwohner seit Tausenden von Jahren genutzt hatten, und gaben ihnen kostenlose Ratschläge wie: „Die Roten sind gefährlich, lasst sie nicht zu nahe an euch herankommen.“ Schon damals benutzten die Zeitungen wilde Mordgeschichten, um den Verkauf ihrer Blätter anzukurbeln. Die Siedler hatten also Angst, aber sie hatten auch Verträge für ihr Land und fühlten sich völlig berechtigt, sich gegen die Roten zu verteidigen, die sie am Ende fast ausgelöscht hatten.
Nach dem Ersten Weltkrieg fühlten sich die Deutschen vor allem wegen des Versailler Vertrags und der Dolchstoßlegende als Opfer, und als Hitler sie erst einmal richtig aufgehetzt hatte, gab es kein Halten mehr, und die Menschlichkeit wurde neben der Wahrheit als erstes geopfert.
Nach der Wiedervereinigung fühlten sich die Ossis von den Besserwessis und der Treuhand schikaniert, und rebellierten deshalb verständlicherweise gegen alles, was aus dem Westen kam.
Auch die Westdeutschen fühlten sich geschädigt, weil Milliarden ihrer hart verdienten D-Mark in den Osten flossen, und seither klagen die vermeintlichen Opfer über die Jammerossis.
Im Nahen Osten leben die Palästinenser seit Jahrtausenden in Palästina, wurden 1948 von den Briten verraten und werden seitdem von den Israelis gedemütigt und vertrieben. Die Israelis, belastet mit dem Trauma der Shoah, sind unfähig, sich in die Araber=Terroristen einzufühlen und sehen sich als Opfer und nicht als Täter.
Ein schier unauflösbares Dilemma, alle Beteiligten fühlen sich als Opfer, die sich nur verteidigen. Alle haben ein Trauma, das sie aus eigener Kraft nicht überwinden können:
Vorwort zu dem Film DER WEISE SCHMERZ DER SEELE
„Trauma ist die unsichtbare Kraft, die unser Leben prägt. Es prägt die Art und Weise, wie wir leben, wie wir lieben und wie wir der Welt einen Sinn geben. Es ist die Ursache unserer tiefsten Wunden. Dr. Maté entwirft eine neue Vision: Wir brauchen eine traumabewusste Gesellschaft, in der es Eltern, Lehrern, Ärzten, politischen Entscheidungsträgern und Justizbeamten nicht darum geht, Verhaltensweisen zu korrigieren, Diagnosen zu stellen, Symptome zu unterdrücken und zu verurteilen. Vielmehr müssen wir verstehen, wodurch problematische Verhaltensweisen und Krankheiten, die Ausdruck einer verletzten menschlichen Seele sind, überhaupt entstehen.“
Dr. Gabor Maté
Auge um Auge, Zahn um Zahn bringt die Menschheit kein bisschen weiter.
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Vereinigte Staaten | Biden | Indigene
Misshandlung in Internaten
Biden bittet Indigene um Entschuldigung
150 Jahre lang wurden indigene Kinder in den USA in staatliche Zwangsinternate gesteckt und dort misshandelt. Hunderte Kinder starben. US-Präsident Biden hat nun erstmals eine historische Entschuldigung an die Opfer gerichtet.
US-Präsident Joe Biden hat für eines der "schrecklichsten Kapitel der amerikanischen Geschichte" um Entschuldigung gebeten: Zehntausende Kinder amerikanischer Ureinwohner wurden in den USA ihren Familien entrissen und in Internate gezwungen - betrieben von der Regierung. Dort erlitten etwa 150 Jahre lang viele der Kinder physische, seelische und auch sexuelle Gewalt.
Die Kinder seien geschlagen und missbraucht worden, man habe ihnen Haare abgeschnitten, sie umbenannt und ihnen verboten, ihre eigene Sprache zu sprechen, führte Biden aus. Manche seien zur Adoption freigegeben worden, andere gestorben.
"Als Präsident der Vereinigten Staaten bitte ich in aller Form um Entschuldigung für das, was wir getan haben", sagte er bei einem Besuch einer indigenen Gemeinde in Arizona.
[...] "Für unsere Nation war es beschämend, es zuzugeben"
Es sei ein düsteres Kapitel der amerikanischen Geschichte, von dem viele Amerikaner nichts wüssten, erklärte Biden. Er kritisierte auch, dass das Thema in Geschichtsbüchern nie gelehrt und in Schulen nie unterrichtet worden sei. "Für diejenigen, die diese Zeit erlebt haben, war es zu schmerzhaft, darüber zu sprechen. Für unsere Nation war es zu beschämend, es zuzugeben", sagte Biden. "Aber nur weil die Geschichte schweigt, heißt das nicht, dass sie nicht stattgefunden hat." ...
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Israel | Gaza | Netanjahu | Siedler
Jüdische Neubesiedlung des Gazastreifens
Rechtsradikale Nationalreligiöse debattieren in Israel die jüdische Neubesiedlung des Gazastreifens. Ist das nur eine absurde Vorstellung?
“Vorbereitung zur Besiedlung des Gazastreifens” war der Titel einer Konferenz, die in den Tagen des Laubhüttenfests an der Grenze zum Gazastreifen stattfand. Es handelte sich um eine Initiative der “Nachala”-Bewegung “zur Besiedlung von Großisrael”, die im Jahr 2005 von den damaligen Führern der messianisch beflügelten nationalreligiösen Siedler im Westjordanland, Moshe Levinger und Daniella Weiss, gegründet wurde.
2005 war das Jahr, an dem Premier Ariel Sharon den Rückzug Israels aus dem Gazastreifen beschloss und unter vehementem Widerstand der dortigen Siedler gegen das Militär vollzog, ein Ereignis, das sich für die Siedlerbewegung “traumatisch” gestaltete und sich ihr seither als Mythos des großen “von der Regierung” an den Siedlern begangenen “Verrats” erhalten und verfestigt hat. Paradox war dabei, dass gerade Ariel Sharon der tatkräftige und skrupellos agierende Patron der Siedlerbewegung gewesen war; die massive jüdische Besiedlung des Westjordanlandes (und ursprünglich auch des Gazastreifens) darf als sein politische Lebenswerk angesehen werden.
Von selbst versteht sich, dass die heutige Parteiführung der Siedlerbewegung, allen voran Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich (und andere Funktionsträger), sich der politischen Gaza-Initiative verschrieben haben; sie widerspiegelt exakt ihre Ideologie. Smotrich schrieb vor Beginn des Events: “Um die Wahrheit zu sagen, ist mir ziemlich klar, dass es letztendlich eine jüdische Besiedlung des Gazastreifens geben wird. So wie es mir die ganzen Jahre seit der Vertreibung [im Jahr 2005] klar war, dass der Tag nicht mehr fern ist, an dem wir ganz Gaza von neuem werden erobern müssen, wie es unsere heldenhaften Kämpfer und Kommandeure im letzten Jahr tun.” Sein Gesinnungsgenosse Ben-Gvir erläuterte seinerseits: “Wenn wir wollen, können wir die Besiedlung Gazas erneuern […] wir können nach Hause zurückkehren. Wir können noch etwas machen – die Emigration [der Palästinenser] fördern. In Wahrheit ist dies die moralischste, die richtigste Lösung. Nicht unter Zwang. Aber ihnen sagen: ‘Wir geben euch die Möglichkeit, geht hier weg in andere Länder’. Eretz Israel gehört uns.”
[...] Die territoriale Frage ließe sich jedoch nur im Rahmen einer politischen Regelung mit den Palästinensern klären – es ist davon auszugehen, dass man auf israelischer Seite gerade deshalb den Friedenschluss mit ihnen verweigert. Bei Netanjahu ist dies zum regelrechten Slogan geronnen: Den Konflikt will er nicht lösen, sondern lediglich verwalten. Wie das aussieht, hat man am 7. Oktober und im nachfolgenden Kriegsjahr erfahren dürfen. Netanjahu lässt sich davon nicht beirren: Gefragt, ob das bedeutet, dass Israel sich für immer “auf das Schwert” wird stützen müssen, antwortete er mit einem lakonischen Ja.
In der gegenwärtigen Regierungskoalition darf der israelische Premier ohnehin nicht an eine Lösung denken, wenn er seine Herrschaft wahren, mithin seine Macht nicht verlieren will (und nichts will er mehr als eben das). Da kommen ihm die messianisch befeuerten Platzhalter des Siedler-Faschismus gerade recht – sie garantieren ihm die unbegrenzte Fortführung des Krieges. Was dabei aus der jüdischen Besiedlung des Gazastreifens wird, gilt es abzuwarten. Vorläufig sind die faschistischen Gotteskrieger de facto Herren des Landes.
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Israel | Iran | Vergeltungsschlag | Raketenbeschuss
Vergeltung nach Raketenbeschuss
Israel greift Ziele in Iran an
Der lange erwartete Vergeltungsschlag kam in drei Wellen: Israels Armee hat laut eigenen Angaben militärische Ziele in Iran angegriffen, Öl- oder Atomanlagen wurden offenbar nicht getroffen. Laut Israel sind die Angriffe »abgeschlossen«.
Israel hat in der Nacht am frühen Samstagmorgen (Ortszeit) Ziele in Iran angegriffen. »Als Reaktion auf die seit Monaten andauernden Angriffe des iranischen Regimes gegen den Staat Israel« führten die israelischen Streitkräfte »präzise Angriffe auf militärische Ziele in Iran durch«, erklärte die Armee.
Das Regime in Iran und seine Stellvertreter in der Region hätten Israel seit dem 7. Oktober unerbittlich angegriffen, einschließlich direkter Angriffe von iranischem Boden aus, hieß es in der Erklärung weiter. »Wie jedes andere souveräne Land der Welt hat auch der Staat Israel das Recht und die Pflicht, darauf zu reagieren.«
Die israelische Operation umfasste nach Angaben des israelischen Fernsehens drei Angriffswellen und dauerte rund fünf Stunden. Am Samstagmorgen verkündete die Armee, dass der Angriff auf Ziele in Iran beendet sei. »Unsere Flugzeuge sind sicher heimgekehrt«, hieß es in einer Mitteilung. »Der Vergeltungsschlag ist abgeschlossen und die Mission wurde erfüllt.«
Ein israelischer Militärschlag gegen Iran war seit Wochen erwartet worden. Iran hatte Anfang Oktober rund 200 ballistische Raketen auf Israel abgefeuert. Israel hatte daraufhin Vergeltung angekündigt.
Der iranische Angriff am 1. Oktober war der zweite dieser Art binnen weniger Monate. Bereits am 13. April hatte Iran Israel mit Raketen beschossen. Dies war der erste direkte Angriff auf den Erzfeind überhaupt. Auch in diesem Fall wurde der größte Teil der Raketen von Israel mit Unterstützung mehrerer verbündeter Staaten abgefangen ...
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Putin verliert sein Volk: 63 Prozent der Russen wollen Friedensvertrag
Putins Kriegskurs stößt auf wachsenden Widerstand. Neue Studien zeigen: Die Mehrheit der Russen wünscht sich Frieden. Doch wagt es kaum jemand, das öffentlich zu sagen.
"Die Russen stehen zu Putin und wollen den Krieg", titelte in der Woche die Frankfurter Allgemeine Zeitung und bezieht sich dabei auf eine Studie des Chefs des russischen Lewada-Zentrums, Lew Gudkow. Laut dem Papier unterstützen 75 Prozent den Krieg des Kremls gegen die Ukraine. Doch es gibt auch Untersuchungen mit gänzlich anderem Ergebnissen zur Kriegszustimmung in Russland.
Eher in exilrussischen Medien Schlagzeilen machte im September eine Telefonumfrage des Cronicle-Projekts in Russland die Runde, Daraus geht hervor, dass fast die Hälfte der russischen Bürger (49 Prozent) Friedensverhandlungen mit der Ukraine derzeit auch unterstützen würde, wenn die Ziele der "speziellen Militäroperation", wie die Invasion des Nachbarlandes offiziell genannt wird, durch den Kompromiss nicht erreicht würden.
Nur etwa ein Drittel spricht sich dagegen aus, der Rest ist unentschieden.
Viel Zuspruch für Kompromissfriedens im Jahr 2025
Noch deutlicher schaut das Ergebnis aus, wenn die Russen vor die Alternative Frieden oder neue Mobilisierung gestellt werden – oder wenn die Meinungsforscher nach der Möglichkeit eines Friedensvertrags im nächsten Jahr mit gegenseitigen Zugeständnissen fragen.
Ein solches Abkommen im Laufe des Jahres 2025 würden in der Umfrage von 63 Prozent der Russen befürworten. Der gegenüber den Meinungsforschern am häufigsten genannte Grund, warum sich dennoch weitere Landsleute freiwillig für die Front melden, sind die damit verbundenen materiellen Vorteile.
Wie sind so unterschiedliche Ergebnisse möglich? Bei allen Umfragedaten in Russland ist zu beachten, inwieweit Russen den ausländischen Demoskopen die Wahrheit zu politischen Themen sagen.
Falsche Äußerungen der eigenen Meinung selbst im kleinen Kreis sind in Russland inzwischen sehr gefährlich. Cronicle hat versucht, diesen Effekt zu minimieren, indem es sich nicht nach der Meinung der Befragten, sondern der Leute im Umfeld der Teilnehmer erkundigt hat.
Das ist der entscheidende Unterschied zu Gudkow und ein Vorteil der Cronicle-Studie, der den Effekt von Anpassungsantworten aus Angst minimiert. Prompt ergab sich weniger Kriegsbegeisterung ...
25. Oktober
Investitionen | Naturschutz | Infrastruktur | Biodiversität
UN-Biodiversitätskonferenz:
"Im Moment lohnt sich die Plünderung der Natur"
Der Natur einen Wert geben, damit Unternehmen in ihren Schutz investieren: Daran arbeitet der Ökonom Martin Stuchtey. Kann diese Idee zum Geschäftsmodell werden?
800 Milliarden US-Dollar bräuchte es für einen effektiven Schutz von Tieren, Pflanzen und Ökosystemen, doch nur gut 100 Milliarden stellt die Weltgemeinschaft dafür bislang zur Verfügung. Nur mit Spenden kann diese Lücke nicht geschlossen werden. Aber wie sonst? Darüber verhandeln die Staaten der Welt gerade auf der UN-Biodiversitätskonferenz im kolumbischen Cali. Martin Stuchtey hat eine Idee mitgebracht.
ZEIT ONLINE: Herr Stuchtey, Sie wollen die Natur retten, indem sie Wege finden, wie man in sie investieren kann. Welchen Wert hat Natur denn?
Martin Stuchtey: Ganz sicher einen kulturellen, einen spirituellen, einen Wert für die Gemeinschaft. Aber sie hat auch einen wirtschaftlichen Wert. Und den haben wir viel zu lange ignoriert. Wir wirken jährlich mit Aktivitäten im Wert von mindestens sieben Billionen Euro auf die Natur ein, und die tragen meist zur Zerstörung von Ökosystemen bei. Das ist ein Wertverlust, der weder in einer Unternehmensbilanz noch in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auftaucht. Im Moment lohnt sich wirtschaftlich vor allem die Plünderung der Natur. Deshalb wollen wir einen Markt für Natur schaffen, auf dem auch Wiederherstellung und Schutz belohnt wird. Die Natur ist schließlich kritische Infrastruktur – für Unternehmen, Sektoren und ganze Gesellschaften.
ZEIT ONLINE: Was heißt das: Natur als kritische Infrastruktur?
Stuchtey: In der Vergangenheit haben wir innerhalb der regenerativen Kapazität des Planeten gewirtschaftet. Heute ist das nicht mehr der Fall. Der Erhalt der Natur ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Es ist genau wie bei Straßen oder Eisenbahnen: Wenn man nicht laufend investiert, dann verfallen sie. Böden erodieren, Gewässer versalzen, Wälder vertrocknen. Wir müssen finanzielle Anreize dafür schaffen, dass Geld in die Erhaltung und Erneuerung natürlicher Systeme fließt. Investoren müssen profitieren, wenn sie den ökologischen Wert des Landes langfristig wiederherstellen.
ZEIT ONLINE: Was könnten Anreize sein, damit Unternehmen Verantwortung für die Natur übernehmen?
Stuchtey: Die ökologische Krise schafft den Grund zum Handeln teilweise schon selbst. Bei Porsche etwa ist schon einmal drei Wochen lang die Produktion ausgefallen, weil einem Lieferanten der Keller vollgelaufen ist. Viele der Überschwemmungen, über die wir in zunehmender Häufigkeit lesen, hätten wir durch eine bessere Bearbeitung der umliegenden Felder, Wiesen und Wälder verhindern können. Dann würden sie viel größere Wassermassen speichern. Oder nehmen wir die Lebensmittelhersteller: Dürren oder Überschwemmungen gefährden ihr Geschäft. Letztes Jahr war die Orangenernte am Mittelmeer katastrophal. Der Kakaopreis hat sich zwischenzeitlich fast verfünffacht, bis 2030 wird Kaffee in wichtigen Anbauregionen große Probleme bekommen. Viele Schäden sind also schon da. Jetzt müssen wir eine Finanzinfrastruktur schaffen, um im Wirtschafts- und Finanzsystem Verhalten zu belohnen, das Natur schützt ...
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Vereinigte Staaten | Trinkwasser | PFAS
Schätzung zu PFAS
Millionen Amerikaner könnten ewige Chemikalien im Trinkwasser haben
Ewige Chemikalien reichern sich in der Umwelt an und bergen Gesundheitsrisiken. Nun zeigt eine Schätzung für die USA: In vielen Regionen könnten sie auch im Grundwasser enthalten sein.
Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung in den USA – etwa 71 bis 95 Millionen Menschen – könnten auf Grundwasser angewiesen sein, das PFAS-Chemikalien enthält. Das geht aus einer Studie des U.S. Geological Survey hervor.
PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von mehreren Tausend einzelnen Chemikalien. Verwendet werden die Stoffe zum Beispiel in beschichteten Pfannen, Outdoorkleidung oder Kochgeschirr. Auch in Shampoos oder Pizzakartons kommen sie vor. Einmal in der Umwelt werden die chemischen Substanzen kaum abgebaut und deshalb auch als »ewige Chemikalien« bezeichnet. Sie stehen unter anderem im Verdacht, die Funktion der Leber oder Schilddrüse beeinträchtigen und Krebs auslösen zu können.
»Die Ergebnisse dieser Studie deuten auf eine weit verbreitete PFAS-Kontamination im Grundwasser hin, das für die öffentliche und private Trinkwasserversorgung in den USA verwendet wird«, sagte Hauptautorin Andrea Tokranov laut einer Mitteilung ...
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Atmosphäre | PFAS | Klimakiller
Treibhausgas CF4: Der «Klimazombie» aus der Alu-Dose
Bei der Alu-Herstellung entsteht ein extrem starkes Klimagas, das 50'000 Jahre in der Atmosphäre bleibt.
Von Tetrafluormethan oder Perfluormethan haben die meisten «Infosperber»-Lesenden vermutlich noch nie gehört. Das Gas mit der Kurzbezeichnung CF4 ist aber einer der Gründe, weshalb man Aluminium recyceln sollte.
CF4 oder manchmal auch PFC-14 hat eine ganze Reihe unguter Eigenschaften und entsteht unter anderem bei der Alu-Herstellung. Aber fangen wir mit Positivem an: CF4 ist ein PFAS, gilt aber als ungiftig. Das Gas wird als Kältemittel verwendet und schädigt die Ozonschicht nicht.
Eine ganze Reihe negativer Superlative
Perfluormethan, CF4 oder PFC-14 ist aber
- ein extrem starkes Klimagift, das im Mittel 7400-mal potenter ist als CO2.
- Der langlebigste bekannte Klimakiller. CF4 bleibt mindestens 50’000 Jahre in der Atmosphäre
- Das häufigste PFAS oder Perfluorcarbon (PFC) in der Atmosphäre.
- Dort steigt seine Konzentration seit Jahrzehnten an.
Über 100 Jahre hat CF4 ein globales Erwärmungspotential (GWP) von 6500. Das heisst, das Gas heizt die Erde über ein Jahrhundert 6500-mal mehr auf als Kohlendioxid. Über 500 Jahre sind es laut IPCC schon 11’000-mal mehr und so weiter. CF4 gehört zur exklusiven Gruppe der «unsterblichen Klimagase».
Willkommen bei den Klimazombies
Insgesamt gibt es vier oder fünf dieser «Klimazombies» ...
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Israel | Entmenschlichung | Kriegsdienstverweigerung
Israelische Kriegsdienstverweigerer
Nicht mehr ihr Krieg
130 israelische Deserteure erklären in einem gemeinsamen Brief, warum sie sich weigern, weiter zu kämpfen. Die taz hat mit drei von ihnen gesprochen.
Max Kresch will nicht mehr kämpfen. Der drahtige 28-Jährige steht auf dem Vorplatz des Tel Aviver Kunstmuseums. Statt Uniform trägt er Jeans und T-Shirt, vor dem nächsten TV-Interview steckt er sich eine gelbe Schleife an den Kragen: das Symbol für die Forderung nach einer Rückkehr der von der Hamas entführten Geiseln. „Für dieses Land und diese Regierung bin ich nicht mehr bereit mein Leben zu opfern“, sagt er. Zusammen mit ihm haben 129 andere Reservisten und Wehrdienstleistende Anfang Oktober einen Brief unterschrieben, so lange nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, bis ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln und für ein Ende des Krieges geschlossen wird. Seitdem hört das Telefon von Max Kresch kaum noch auf zu klingeln.
Dass 130 Soldaten ihren Dienst verweigern, während die Kämpfe gegen die Hisbollah im Libanon immer mehr an Fahrt aufnehmen und ein Krieg mit dem Iran jederzeit beginnen könnte, das sorgt für Diskussionen in Israel. Israelische Medien haben Vorrang bei Interviewanfragen, sagt Kresch in sein Handy. „Wir wollen laut sein und widersprechen, in einer Zeit, in der viele es sich nicht trauen.“
[...] Eine Woche nach der Veröffentlichung des Briefs hat Kresch das Militär am Telefon. „Sie haben angefangen, mich und die anderen anzurufen“, sagt er. Er sei gefragt worden, ob er seine Entscheidung zurücknehmen wolle, andererseits könne es Konsequenzen haben. Manche habe das verunsichert. Ins Gefängnis sei bisher aber niemand gekommen, die Regierung wolle wohl nicht noch zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit generieren, vermutet Kresch.
Minister und Rechte hätten sie „erwartbar“ als Verräter beschimpft. Darüber hinaus aber sei ihnen viel Verständnis entgegengebracht worden. Kresch ermutigt das: „Nicht nur wir haben das Gefühl, dass mit der Ablehnung eines Waffenstillstands und der Rückkehr der Geiseln ein Versprechen zwischen der Regierung und den Menschen zerbrochen ist.“ Er habe dem Anrufer von der Armee gesagt, „dass sie uns ernst nehmen müssen und dass wir nur die Spitze des Eisberges sind“. Denn gefährlicher als jeder Gegner von außen seien Soldaten, die nicht mehr wüssten, wofür sie kämpfen.
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Erneuerbare | Energiewende | EEG
Erneuerbare Energien
Brandbrief der Banken wegen EEG-Reform
Der ohnehin schwächelnde Ausbau der erneuerbaren Energien droht ab 2027 mit einem Systembruch bei der EEG-Vergütung vollends zum Stillstand zu kommen, warnen Banken und Kreditinstitute jetzt in einem Klimareporter° vorliegenden Schreiben an Wirtschaftsminister Habeck.
Was ist das Vorzeigeprojekt der Energiewende in Deutschland? Der Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Grünstrom-Anteil am Strommarkt kratzte dieses Jahr an der 60-Prozent-Marke – und es gehe auf die 80 Prozent zu, klopfte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Woche bei der Vorstellung seiner Modernisierungsagenda auf die Schulter.
Strom werde in Deutschland immer erneuerbarer und immer klimafreundlicher, so Habeck weiter. Deswegen sei es sinnvoll, ihn möglichst überall zu verwenden, in der großen Industrie wie beim privaten Verbrauch.
Die Verfügbarkeit grünen Stroms entscheidet, nebenbei bemerkt, auch über Deutschlands Klimaziele. Um 2045 klimaneutral zu sein, muss die heutige erneuerbare Erzeugung mindestens verfünffacht werden – von knapp 220 Milliarden Kilowattstunden auf mehr als 1.000 Milliarden, hat die neue Studie der Agora-Thinktanks gerade erst vorgerechnet.
Habecks Vorzeigeprojekt kommt schon jetzt in schweres Fahrwasser. Die steigende Zahl von Stunden mit sogenannten negativen Strompreisen führt zu steigenden Verlusten bei den Erneuerbaren. Bei der Photovoltaik werden inzwischen 20 Prozent der Betriebsstunden nicht mehr vergütet, ist aus der Branche zu hören. Bei der Windkraft sollen es immerhin fast sechs Prozent sein.
Zu diesem Problem legte die Branche schon eine Reihe von Vorschlägen vor: mehr Flexibilität beispielsweise, indem Überschussstrom in Wasserstoff oder Wärme umgewandelt wird, oder mehr Anreize für Biogasanlagen, Strom entsprechend den Marktkonditionen zu erzeugen.
Wichtigster Vorschlag der Branche ist, die Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht mehr starr über 20 Jahre zu zahlen, sondern für eine bestimmte Menge des eingespeisten Stroms. Die Betreiber könnten dann ihre Anlagen zu Zeiten negativer Preise ohne Einbußen von Netz nehmen ...
24. Oktober
Schweden | Atommüll-Endlager | SFR Forsmark
500 Meter tief für 100.000 Jahre
Schweden genehmigt Endlager für 12.000 Tonnen Atommüll
Was in Deutschland noch 50 Jahre dauern könnte, hat Schweden als eines der wenigen Länder der Erde nun vollbracht: Die Suche nach einem Atommüll-Endlager ist beendet. Gute 100 Kilometer nördlich von Stockholm werden bald Tausende Tonnen nuklearer Abfall tief in die Erde versenkt - für eine sehr lange Zeit.
Ein schwedisches Umweltgericht hat den Bau eines Atommüll-Endlagers genehmigt. Die Erlaubnis umfasst die unterirdische Lagerung von "rund 6000 Kapseln mit rund 12.000 Tonnen Atommüll" im etwa 130 Kilometer nördlich von Stockholm gelegenen Forsmark, wie das Gericht mitteilte. Die abgebrannten Brennstäbe sollen dort in 500 Meter Tiefe für bis zu 100.000 Jahre gelagert werden. In Forsmark steht eins von drei schwedischen Atomkraftwerken.
Schweden ist damit eines der wenigen Länder weltweit, die die Frage nach der Atommüllendlagerung beantwortet haben. Nur Finnland hat bis jetzt eine langfristige Lösung für die Lagerung der radioaktiven Abfälle gefunden.
Für die Endlagerung sollen jeweils zwei Tonnen abgebrannte Brennstäbe in einem 25 Tonnen schweren kupferbeschichteten Kanister entsorgt werden. Dieser wird dann den Plänen zufolge in den in 500 Meter Tiefe gebauten Tunneln gelagert. Diese sollen mit einer Masse aus Bentonit-Gestein aufgefüllt werden, um zu verhindern, dass bei Wassereinfluss oder Erbeben Radioaktivität austreten kann ...
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Demokratie | Verfassungsfeindlichkeit | AfD-Verbotsverfahren
SPD-Abgeordnete erklärt Antrag
"Das Zeitfenster zur Prüfung eines AfD-Verbots schließt sich"
"Ich werde noch mehr Mord- und Gewaltdrohungen erfahren", befürchtet die SPD-Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein aus dem Südosten Brandenburgs. Dennoch - oder gerade deshalb - will sie eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der AfD durch das Bundesverfassungsgericht vorantreiben. Wallstein und weitere Abgeordnete aus SPD, CDU, Grünen und Linke haben einen Antrag vorgelegt, den der Bundestag mehrheitlich beschließen soll. Demnach soll ein Verfahrensbevollmächtigter im Auftrag des Bundestags belastendes Material zur AfD bündeln, dieses gewichten und möglichst dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, damit Karlsruhe die AfD überprüft. Würde Karlsruhe die Verfassungsfeindlichkeit feststellen, könnte die AfD als Ganzes verboten werden. Der Antrag ist inzwischen im Internet einsehbar. Im Interview mit ntv.de erklärt Wallstein, mit welchen Argumenten sie und ihre Mitstreiterinnen für eine Mehrheit für den Antrag werben.
Frau Wallstein, zusammen mit weiteren Abgeordneten von SPD, Grünen, CDU und Linkspartei wollen Sie ein Verbotsverfahren gegen die AfD anstrengen …
Maja Wallstein: Moment! Der Bundestag entscheidet nicht über ein Verbot. Wir können nur die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht beantragen. Solch einen Antrag kann entweder die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag stellen. Das Bundesverfassungsgericht kann wiederum nicht von sich aus aktiv werden. Deshalb wirbt unsere Gruppe für einen Mehrheitsbeschluss des Bundestages, dass wir eine Prüfung der Verfassungstreue der AfD in Karlsruhe beantragen.
[...] Wieso schließt sich aus Ihrer Sicht das Zeitfenster?
Maja Wallstein: Erstens könnte der Bundestag nach der Wahl ganz anders aussehen als heute. Die Mehrheit für einen Prüfantrag könnte dann noch schwieriger werden. Außerdem könnte auch die Bundesregierung ganz anders aussehen. Das sind dann zwei von drei Verfassungsorganen, die überhaupt einen Prüfantrag stellen können. Zweitens könnte auch eine Beteiligung des BSW in mehreren Länderregierungen dazu führen, dass auch der Bundesrat keinen Antrag stellt. Mir erscheint momentan noch völlig offen, wie sich das BSW künftig zur AfD verhält. Drittens ist auch eine Beteiligung der AfD an einer Landesregierung heute nicht mehr auszuschließen. Ist die AfD in einer Landesregierung, ist ein solches Verfahren bundesweit nicht mehr möglich, weil sie es immer torpedieren könnte ...
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Medien | Journalismus | Werbeeinnahmen
Verlage klagen über Macht der Mediaagenturen und Tech-Riesen
Werbegelder für Qualitätsjournalismus brechen dramatisch ein. Mediaagenturen und Tech-Konzerne lenken die Geldströme zu ihren Gunsten, so der Vorwurf.
Da braut sich was zusammen: Das Geld wird knapp, die Auseinandersetzungen werden schärfer, die Klagen und Angriffe auch. Dass Medien mit den Plattformen der Tech-Riesen bis dato übermächtige Konkurrenten haben, die ihnen große Stücke der Werbeeinnahmen abspenstig machen, weiß jeder, seit Jahren. Weniger bekannt ist allerdings, welche Rolle dabei Mediaagenturen spielen.
Wer entscheidet über die inhaltliche Qualität?
Auf deren Wirken konzentriert sich nun eine Erklärung des Medienverbands freie Presse (MVP), überschrieben mit dem wohlklingenden Satz:
"Es obliegt allein den Leserinnen und Lesern, über die inhaltliche Qualität journalistischer Arbeit zu urteilen."
Dieser Satz ist das Schwungrad der Attacke des Verbandes, der nach eigenen Angaben die "publizistischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Interessen von rund 350 Mitgliedsverlagen und knapp 7.000 Zeitschriften- und Medienangeboten" vertritt.
Seine Klage: Die für die Finanzierung des unabhängigen Journalismus nötigen Werbeeinnahmen fließen in enormen Mengen an Plattformen ...
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Urteil | Naturschutz | Dieselskandal
Urteil im Diesel-Skandal
Erstmals ist hierzulande die Natur im Recht
Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Dieselautos schädigen nicht nur den Käufer, sondern auch die Natur. Das hat ein Erfurter Gericht entschieden.
Berlin taz | Es ging am Landgericht Erfurt eigentlich nur um den Dieselskandal. Und doch könnte das Urteil Rechtsgeschichte in Deutschland schreiben. „Zum ersten Mal hat hierzulande ein Gericht im Sinne der ‚Rechte der Natur‘ geurteilt“, sagt Tilo Wesche, Professur für Praktische Philosophie an der Universität Oldenburg.
Gemeint ist ein Rechtsverständnis, nach dem nicht nur Menschen geschützt sind gegen Übergriffe auf ihre Person, sondern auch Ökosysteme wie Flüsse, Wälder, Teiche oder Moore mit ihren Tieren. „Diese Rechte der Natur sind … von Amts wegen … zu berücksichtigen“, heißt es in der schriftlichen Urteilsbegründung, die jetzt vorliegt.
Es geht um einen BMW 750 D X-Drive, in dem ohne Wissen des Käufers eine Abschalteinrichtung installiert worden war. Dieses im Fachjargon genannte „Thermofenster“ sorgt dafür, dass der Ausstoß von schädlichen Stoffen in den Abgasen eben nicht gesenkt wird, wie gesetzlich eigentlich vorgeschrieben. Der Kläger hatte moniert, dass das von ihm erworbene Auto deshalb weniger wert sei und auf Schadenersatz geklagt. Dieser wurde ihm vom Landgericht Erfurt auch zugesprochen.
Allerdings fällt die Entschädigung höher aus, eben weil die illegal eingebaute Abschalteinrichtung nicht nur den Kläger, sondern auch die Natur geschädigt hat ...
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Südafrika | Landwirtschaft | Pestizide
Farmarbeiterinnen protestieren gegen europäisches Gift
Gefährliche Spritzmittel, die in der EU längst verboten sind, landen in den Weinbergen Südafrikas. NGOs fordern ein Exportverbot.
Deutschland und andere europäische Länder exportieren giftige Pestizide, die in der EU zum Teil seit Jahrzehnten verboten sind, in alle Welt. Ein Teil davon geht nach Südafrika, wo sie unter anderem im Weinbau versprüht werden.
67 der Pestizide, die in Südafrika eingesetzt werden, sind in der EU verboten. Weitere 121 stuft das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) als hochgiftig ein. Durch Lebensmittelimporte gelangen Rückstände dieser schädlichen Stoffe wieder nach Europa – zum Beispiel in südafrikanischem Wein. Das grösste Gesundheitsrisiko tragen jedoch die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Farmen, die den Giften ausgesetzt sind.
Tonnenweise Gift aus Europa
In Südafrika wächst der Protest gegen das europäische Gift. Ende August demonstrierte die südafrikanische Organisation Women on Farms vor dem deutschen Konsulat in Kapstadt gemeinsam mit Angestellten von Oxfam Deutschland gegen den Einsatz hochgiftiger Pestizide in der Landwirtschaft.
Arbeitsbedingungen in Südafrika: Meistens schutzlos
Wie Oxfam berichtet, arbeiten die Frauen in den südafrikanischen Weinbergen oft ohne jeglichen Schutz, selbst während die Pestizide ausgebracht werden. Kurz nach der Anwendung müssen sie zurück auf die Felder. Die Möglichkeit, Rückstände an Händen und Kleidung abzuwaschen, gibt es kaum. Die gesundheitlichen Folgen können gravierend sein: Zahlreiche Studien bringen den Kontakt mit Pestiziden mit schweren Erkrankungen in Verbindung. Arbeiterinnen und Arbeiter, die krank werden, müssen die Gesundheitskosten meist selbst tragen ...
23. Oktober
Emissionen | Stromverbrauch | Künstliche Intelligenz
Eine simple Frage an KI verbraucht Unmengen an Energie
KI hilft derzeit vor allem den Konsum anzukurbeln. Dereinst soll dieser Energiefresser – vielleicht – auch dem Klimaschutz dienen.
Stellt man grossen KI-Modellen wie ChatGPT, Gemini oder Copilot eine Frage, wird diese nicht vom eigenen Laptop beantwortet. Stattdessen wird sie in kleine Datenpakete zerlegt und durch Glasfaserkabel quer über den Erdball zu einem Rechenzentrum von OpenAI, Google oder Microsoft geschickt.
Das ist zwar erstmal nicht anders als bei einer Suchmaschine. Der Unterschied liegt aber in der Rechenleistung, die notwendig ist, um die gewünschte Antwort zu erstellen. Bis zu zehnmal mehr Energie als für eine Google-Suche wird dazu laut einer Untersuchung von Goldman Sachs benötigt. Das ist auch ein Problem fürs Klima. Auf jeden Fall so lange wir unseren Strom nicht komplett aus erneuerbaren Energien beziehen.
[...] Um zu erkennen, dass der Energiehunger der Künstlichen Intelligenz zum Problem für das Klima werden könnte, reicht allerdings ein Blick auf die Treibhausgasemissionen von Google. Eigentlich sollte das Unternehmen bis 2030 klimaneutral werden. Tatsächlich sind Googles Emissionen seit 2019 aber sogar laut eigenen Angaben um fast 50 Prozent gestiegen.
[...] Ralph Hintemann, der am Borderstep Institut zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit forscht, betont die Relevanz der richtigen Standortwahl. Besonders in Ballungszentren ergäben sich Vorteile, da Abwärme der Rechenzentren zum Heizen umstehender Wohngebiete genutzt werden könnte. «Was da an Strom reingeht, geht zum Teil als Wärme wieder raus. Diese Wärme können wir auch nutzbar machen.»
[...] Egal ob Amazon oder TikTok, grosse Techkonzerne nutzen die Technologie, um uns zum Kaufen oder zum Weiterscrollen zu bewegen.
Gesellschaftlichen Fortschritt bringen andere Modelle. Hintemanns Fazit: «Es kann eigentlich nur mit effizienten, schlanken Lösungen funktionieren. Wir sollten KI dort einsetzen, wo sie wirklich hilft, effizienter zu werden und gleichzeitig wenig Ressourcen braucht. Dazu müssen wir nicht mit Riesenmodellen arbeiten, sondern mit schlanken, direkt auf die Anwendung spezialisierten Modellen, die auch aus anderen Gründen unkritischer sind.»
Die Verantwortung, eine nachhaltigere Betriebsweise zu etablieren, liegt hier vor allem bei den Konzernen. Trotzdem sollten wir uns fragen, wo der Einsatz von KI wirklich sinnvoll ist. Das «Riesenhirn» ChatGPT zu nutzen, um eine Mail an den Chef zu schreiben, ist wie mit einer Kanone auf Spatzen zu schiessen.
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Atommüll | La Hague | Philippsburg
Baden-Württemberg
Castor-Transport mit Atommüll nach Philippsburg rückt näher
Noch in diesem Jahr kommen vier Castoren mit hochradioaktivem Atommüll nach Philippsburg. Für wie lange und wie sicher ist das? Das wollten die Menschen bei einem Bürgerdialog wissen.
Vier Castoren mit hochradioaktivem Abfall sollen noch in diesem Jahr in das Zwischenlager nach Philippsburg (Kreis Karlsruhe) gebracht werden. Der genaue Termin bleibt aus Sichersheitsgründen weiter geheim.
[...] Atommüll kommt von La Hague nach Philippsburg
In Vorträgen umrissen Vertreter der EnBW, der BGZ, des Umweltministeriums und der Polizei den geplanten Transport. Die vier Castoren mit dem hochradioaktiven Atommüll kommen mit dem Zug aus dem französischen La Hague. Dort wurden alte Brennstäbe wiederaufgearbeitet. Die dadurch entstandenen Abfälle müssen aus rechtlichen Gründen zurückgenommen werden.
[...] Wie lange bleibt der Atommüll in Philippsburg?
Neben den Castoren ging es auch viel um die Frage, wie lange der Atommüll im Zwischenlager Philippsburg bleiben soll. Das Zwischenlager für Brennelemente ist bis 2047 genehmigt. Dort lagern aktuell 102 Behälter. Da noch kein Endlager gefunden wurde, befürchten viele, dass der Atommüll dort noch viel länger bleiben wird. Michael Hoffmann von der BGZ machte klar: Die Suche nach einem Endlager wird länger dauern als 2047.
[...] Die Stadt Philippsburg hatte einen Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof gegen den Transport der vier Castoren gestellt. Im November soll entschieden werden. Bürgermeister Stefan Martus (CDU) geht aber nicht davon aus, dass die Stadt damit Erfolg hat.
Fest steht, dass Atomkraftgegner am 9. November in Karlsruhe und Philippsburg protestieren wollen. Die Anti-Atom Initiative Karlsruhe organisiert die Aktion.
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Aserbaidschan | Klimagipfel | COP 29
COP 29
Was Kaviar mit dem Weltklimagipfel zu tun hat
Aserbaidschan und sein Staatsunternehmen Socar waren schon in viele Korruptionsskandale verwickelt. Vor dem Klimagipfel in Baku zeigt ein neuer Bericht, wie groß der Einfluss des Ölkonzerns in Europa ist und welche Banken Aserbaidschans fossile Expansion finanzieren.
Von Luxusreisen zahlreicher Europarats-Abgeordneter nach Aserbaidschan hatte der Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) schon 2012 berichtet. Mit teuren Zuwendungen im Gepäck und nicht selten mit politischen Ansichten ganz im Sinne des kleinen, erdöl- und erdgasreichen Staates kehrten die Politiker:innen zurück.
Neben hohen Geldbeträgen – die meist über Umwege die Abgeordneten selbst oder mit ihnen verbundene Vereine erreichten – waren es Schmuck, teure Teppiche und eben Kaviar, die bei den Besucher:innen Überzeugungsarbeit leisten sollten und schließlich den geflügelten Begriff "Kaviar-Diplomatie" prägten.
Im Zentrum dieses bis heute andauernden Korruptionsskandals, in den auch viele deutsche Unionspolitiker:innen verwickelt sind, steht der staatliche aserbaidschanische Ölkonzern Socar. Allen Skandalen zum Trotz ist der Einfluss des Unternehmens in Europa in den letzten Jahren stetig gewachsen, wie ein am heutigen Mittwoch veröffentlichter Bericht der Nichtregierungsorganisationen Urgewald und CEE Bankwatch aufdeckt.
[...] Deutsche Banken finanzieren Gasprojekte von Socar
Die Mineralölkonzerne Eni, BP und Total halten Anteile an dem größten Gasfeld des Landes, Schah Denis, und betreiben gemeinsam mit Socar Pipelines. Darunter ist der Südliche Gaskorridor, der Aserbaidschan mit Italien verbindet.
Urgewald und CEE Bankwatch heben die Rolle der Banken hervor. "Die globale Fossilindustrie kann ohne Banken nicht existieren – sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der Klimakrise. Aserbaidschan und Socar sind da keine Ausnahme", heißt es in dem Report.
[...] Über die öffentliche Schützenhilfe hinaus war Socar laut dem Bericht auch an der Bestechung und Beeinflussung von Politiker:innen in der EU und den USA beteiligt.
Dabei scheinen die Bestechungstaktiken des Landes nach wie vor zu wirken. Das reicht von Europaratsabgeordneten, die als Wahlbeobachter:innen nach Aserbaidschan reisen und dem Urnengang europäische Standards attestieren, bis zu vier CDU-Politiker:innen, die mit identischen Briefen das deutsche Außenministerium aufforderten, seine Position im Bergkarabach-Konflikt zu überdenken.
Wie viel Kaviar wohl nötig ist, um auch noch bei diesem Klimagipfel ein Fossil-Ausstiegsdatum aus dem Abschlusstext herauszuhalten? CEE-Bankwatch-Koordinatorin Manana Kochladze ist in jedem Falle skeptisch, was die bevorstehenden Verhandlungen angeht: Ein Gipfel-Gastgeber, der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist:innen systematisch bedrohe, wecke nicht gerade Zuversicht.
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Energiewende | Wasserstoff | Erdgas
Übergangslösung oder Klimakiller? Erdgaskraftwerke in der Kritik
Förderung für Erdgaskraftwerke sorgt für Unmut. Kritiker warnen vor Gefährdung der Klimaziele und höheren Kosten. Wird die Interimslösung zum Dauerproblem?
Die geplante staatliche Förderung von Erdgaskraftwerken und blauem Wasserstoff im Rahmen des Kraftwerkssicherheitsgesetzes sorgt für Kontroversen. Kritiker befürchten, dass diese Maßnahmen die Erreichung der Klimaziele gefährden und die Energiekosten für Verbraucher erhöhen könnten.
Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), die im Auftrag der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy erstellt wurde, unterstützt diese Bedenken.
[...] Blauer Wasserstoff soll nicht gefördert werden
Besondere Kritik richtet sich auch gegen die geplante Förderung von blauem Wasserstoff, der auf Erdgas basiert. Diese Förderung steht laut Green Planet Energy im Widerspruch zu den Klimazielen bis 2045. Stattdessen sollte der Fokus konsequent auf grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gelegt werden.
Ein Überangebot an fossilen Kraftwerken könnte zudem Investitionen in grüne Flexibilitätsoptionen wie Batteriespeicher gefährden. Dähling warnt, dass Erdgaskraftwerke nicht dominieren sollten, sondern lediglich als letzte Option zur Versorgungssicherheit dienen dürften ...
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Großbritannien | Atommüll | Wiederaufbereitung | Windscale/Sellafield GBR
Sellafield erzielt kein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis, sagt der öffentliche Rechnungsprüfer
Anhaltende Bedenken hinsichtlich des Projektmanagements, des Tempos der Fertigstellung und der Personalausstattung des Atomkraftwerks Sellafield in Cumbria führen dazu, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis noch nicht stimmt, so ein neuer Bericht des britischen National Audit Office.
[...] Der Standort Sellafield ist mit über 1000 Gebäuden der größte Nuklearkomplex in Westeuropa. Zu den kerntechnischen Anlagen von Sellafield gehören die Anlagen im Zusammenhang mit dem Magnox-Wiederaufbereitungsprogramm, die Sellafield-Mischoxidbrennstoffanlage, die Wiederaufbereitungsanlage für thermische Oxide und die Anlagen zur Behandlung von Atommüll. Außerdem befinden sich hier überflüssige Anlagen aus dem Verteidigungsbereich der 1950er Jahre, in denen unter anderem Plutonium für Kernwaffen hergestellt wurde.
[...] Die NDA geht davon aus, dass die vollständige Sanierung des Standorts Sellafield bis zum Jahr 2125 dauern wird, während die voraussichtlichen Kosten für die Stilllegung des Standorts auf 136 Mrd. GBP (176 Mrd. USD) gestiegen sind. Die NDA gab 2023-24 in Sellafield 2,7 Mrd. GBP aus, während der Standort im selben Jahr 0,8 Mrd. GBP an Einnahmen erzielte.
[...] „Trotz der seit dem letzten Bericht des NAO erzielten Fortschritte kann ich nicht zu dem Schluss kommen, dass Sellafield ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis erreicht, da große Projekte später als geplant und zu höheren Kosten durchgeführt werden und gleichzeitig langsamere Fortschritte bei der Verringerung zahlreicher Risiken erzielt werden.
Eine fortgesetzte unzureichende Leistung wird bedeuten, dass die Kosten für die Stilllegung erheblich steigen werden und „untragbare Risiken“ länger bestehen bleiben werden.
Übersetzung mit https://www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)
22. Oktober
Italien | Atomkraft | Atommüll
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Die Regierung Meloni will wieder in die Atomenergie einsteigen. Die Voraussetzungen sollen bis Ende des Jahres geschaffen sein.
Rom afp | Die italienische Regierung schiebt die Rückkehr zur Atomkraft an und will erstmals seit fast 40 Jahren wieder ein Atomkraftwerk errichten. Bis zum Ende des Jahres solle der erforderliche Gesetzesrahmen vorliegen, kündigte Unternehmensminister Aldolfo Urso am Montag an.
Damit wolle die Regierung sicherstellen, „dass in Italien neue Kernkraftwerke der dritten und vierten Generation errichtet werden können“, so Urso am Rande einer Wirtschaftskonferenz in Mailand. „Wir wollen keine Kernreaktoren aus anderen Ländern importieren. Wir wollen sie in Italien mit italienischer Technologie und Wissenschaft bauen, um sie in andere Länder zu exportieren.“
Nach dem größten Atomunfall in der Geschichte im ukrainischen Tschernobyl hatte Italien im November 1987 in einem Referendum den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Im Juni 2011 – drei Monate nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima - stimmten bei einem weiteren Referendum der damaligen Regierung unter Silvio Berlusconi rund 94 Prozent der Italiener:innen dagegen, zur Atomenergie zurückzukehren.
Inzwischen hat sich das Stimmungsbild offenbar geändert ...
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Renaissance | Künstliche Intelligenz | Dystopie
Es ist nicht die Superintelligenz, worüber wir uns bei KI tatsächlich Sorgen machen sollten
Angst vor Super-KIs ist eine – inzwischen sogar durch den frisch gebackenen Physik-Nobelpreisträger – gern erzählte Dystopie. Aber es ist die falsche Geschichte, wenn es um die Sorgen geht, die wir uns in Bezug auf KIs machen sollten.
„Wir sollten sehr ängstlich sein“, prangt die Schlagzeile über einem Interview mit der KI-Koryphäe Geoffrey Hinton. Normalerweise blättere ich weiter, ohne zu lesen. Ich bin genervt von solchen Warnungen. Indem sie warnen, tun sie vor allem eines: Sie befeuern den Hype. Diesmal bin ich eingeknickt und habe doch weitergelesen. Ich brauche Stoff für diese Kolumne.
[...] KI und Kernenergie: die Fünfzigerjahre lassen grüßen
Für mich beginnt die wahre Dystopie heute, hier und jetzt. Was mich schaudern lässt, sind Schlagzeilen wie „Störfall-AKW soll Strom für Tech-Konzern liefern“. Für den Energiehunger von Big Tech wird in den USA ein alter Meiler reaktiviert. Er wird wieder ans Netz genommen, um ein Rechenzentrum zu versorgen und den Energiehunger Künstlicher Intelligenz zu stillen. KI und Kernenergie, die Fünfzigerjahre lassen grüßen.
[...] In Irland haben Rechenzentren im Jahr 2023 mehr Strom verbraucht als alle städtischen Haushalte zusammen. Dass KI einen hohen Energieverbrauch hat, ist mittlerweile so bekannt, dass es kaum noch jemanden interessiert. Der Verbrauch wird von vielen als notwendiges Übel betrachtet. Innovation hat eben ihren Preis und wenn der Preis die Reaktivierung eines Atomkraftwerks ist, dann ist das eben so. Was in all den Debatten kaum hinterfragt wird, ist, welche großartigen Innovationen den Verbrauch von so horrenden Energiemengen rechtfertigen? Etwa Chatbots, Bildgeneratoren, selbstfahrende Autos …? In kaum eine andere Technologie projizieren wir so viel Hoffnung wie in KI. Wir vertrauen geradezu blind darauf, dass sich der ganze Einsatz lohnen wird.
Nimmt man Hintons Szenario mit der Superintelligenz, die sich mehr und mehr Macht verschafft, und fügt die Zutat Kernenergie hinzu, dann wird es erst so richtig dystopisch. Sein „Wir sollten sehr ängstlich sein“ unterschreibe ich dennoch nicht. Angst ist eine passive Emotion. Wir sollten wachsam sein und stets hinterfragen, was wir als Gesellschaft bereit sind, für Technologie-Hypes aufs Spiel zu setzen.
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Wasser | Lebensmittel | Nahrungsmittelproduktion | Rockström-Report
Flüsse in der Atmosphäre
Die globale Wasserkrise gefährdet laut einem neuen Report die weltweite Nahrungsmittelproduktion. Der globale Bericht fordert auch die Wiederherstellung von Ökosystemen.
Wasser ist das zentrale Lebensmittel – für jeden einzelnen Menschen. Seine Verfügbarkeit und gute Qualität sind aber auch für die Entwicklung der Volkswirtschaften weltweit wichtig, vor allem in den Ländern, die heute schon unter Wasserknappheit leiden.
Der globale Wasserkreislauf gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht – das ist die Kernbotschaft eines neuen Berichts der "Globalen Kommission für die Ökonomie des Wassers", kurz GCEW.
Auswirkungen hat das laut dem Report vor allem auf die Nahrungsmittelproduktion. Mitte des Jahrhunderts könne bis zur Hälfte davon gefährdet sein, mit der Folge eines weltweiten Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts um durchschnittlich acht Prozent, so die Autorinnen und Autoren.
In Ländern mit niedrigerem Einkommen, zum Beispiel in Afrika und Lateinamerika, könne der Rückgang sogar zehn bis fünfzehn Prozent betragen. Der Bericht fordert, den Wert der Ressource Wasser für die Weltwirtschaft neu zu bestimmen. Das Menschenrecht auf Wasser wird nur am Rande erwähnt ...
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Peru | Korruption | Baukonzern Odebrecht
Früherer Präsident von Peru wegen Korruption verurteilt
Alejandro Toledo wird vorgeworfen, 35 Millionen Dollar Schmiergeld angenommen zu haben. Wegen Korruption und Geldwäsche wurde er zu mehr als 20 Jahren Haft verurteilt.
Der frühere peruanische Präsident Alejandro Toledo ist wegen Korruption und Geldwäsche zu 20 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Im Jahr 2005 habe Toledo für den Zuschlag zum Bau eines Abschnitts der Fernstraße Interoceanica zwischen dem Atlantik und dem Pazifik 35 Millionen US-Dollar (32,3 Millionen Euro) Schmiergeld vom brasilianischen Baukonzern Odebrecht angenommen, hieß es in der Urteilsbegründung der peruanischen Justiz.
Damit habe der heute 78-Jährige dem Staat finanziellen Schaden zugefügt. Toledo hatte sich im vergangenen Jahr den Behörden in den USA gestellt und war nach Peru ausgeliefert worden ...
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Subventionen | Verbrenner | Dienstwagen
»Mobilitätswende«
Milliarden für SUV statt ÖPNV
Studie belegt riesige Subventionen für Betrieb von Dienstwägen mit Diesel- oder Benzinantrieb. Je größer der Wagen, desto größer die Ersparnis
Seit rund 40 Jahren ist bekannt, dass der Verbrauch fossiler Energieträger drastisch eingeschränkt und letztlich schon bald beendet werden muss, wenn das Klimasystem der Erde nicht aus dem Ruder laufen soll und unabsehbare Gefahren für Küstenstädte und Welternährung heraufbeschworen werden sollen. Seit mehr als 30 Jahren gibt es internationale Verhandlungen darüber, wie demnächst wieder in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Doch trotzdem wird der Gebrauch von Benzin und Diesel noch immer massiv steuerlich begünstigt. Auch hierzulande.
Das hat einmal mehr eine im Auftrag des Netzwerks Transport and Environment (englisch für Verkehr und Umwelt, T & E) durchgeführte Untersuchung ergeben. Demnach werden Anschaffung und Betrieb von dieselbetriebenen Dienstwagen in der BRD mit jährlich rund 13,7 Milliarden Euro vom Fiskus unterstützt. Damit liegt Deutschland in der EU an zweiter Stelle, was die klimaschädliche Förderung von Firmenwagen angeht. Nur in Italien wird mit 16 Milliarden Euro jährlich noch mehr ausgegeben. Untersucht wurden die sechs größten Automobilmärkte Westeuropas. Heraus kam, dass dort Jahr für Jahr 42 Milliarden Euro den Betreibern von Dienstfahrzeugen mit Diesel- oder Ottomotor geschenkt werden. Die Instrumente, mit denen dies geschieht, heißen Vorsteuerabzug, Abschreibungen und Pauschalbesteuerung.
Als sei das noch nicht genug, gibt es mehr Steuervorteile, je größer ein Fahrzeug ist. Die Betreiber von SUV-Dienstwagen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, können jährlich mit 6.477 bis 8.544 Euro rechnen, schreibt T & E in einer Pressemitteilung. Entsprechend wird rund ein Drittel der oben genannten 13,7 Milliarden Euro jährlich für die Förderung von SUV aufgebracht ...
21. Oktober
Israel | Gaza | Vernichtung
UN schildern katastrophale Lage im Gazastreifen
Die Vereinten Nationen berichten von entsetzlichen Zuständen im Norden des Gazastreifens. Dabei wird Israel auch die Behinderung von humanitärer Hilfe vorgeworfen. Ein UN-Büro warnt vor einer möglichen "Vernichtung" der Bevölkerung.
Philippe Lazzarini, Generalkommissar des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA), wirft Israel die Behinderung humanitärer Hilfe im Norden des Gazastreifens vor. "Die israelischen Behörden verweigern weiterhin humanitären Missionen den Zugang zum Norden mit lebenswichtigen Hilfsgütern wie Medikamenten und Nahrungsmitteln", schrieb Lazzarini auf der Plattform X.
Verletzte könnten nicht versorgt werden, weil die Krankenhäuser nach Angriffen keinen Strom mehr hätten, schrieb er weiter. Notunterkünfte für geflüchtete Palästinenser seien so überfüllt, dass einige Menschen auf den Toiletten unterkommen müssten.
Lazzarini forderte Zugang für Hilfsorganisationen zum Norden des Gazastreifens, einschließlich UNRWA. Die Verweigerung humanitärer Hilfe sei ein Zeichen dafür, wie schwach die moralischen Maßstäbe sind, schrieb er und forderte eine Feuerpause als Anfang für ein Ende "dieses endlosen Alptraums".
Israel weist Aussagen zurück
Auch der Vize-Direktor der UNRWA, Sam Rose, sagte dem Sender CNN: "Im Moment gelangt fast nichts in den Gazastreifen".
Israel wies diesen Vorwurf scharf zurück. "Das ist eine Lüge, Sam Rose, und Sie wissen das", erwiderte die israelische Behörde für Palästinenserangelegenheiten Cogat auf der Plattform X. Seit Mai seien 500.000 Tonnen Hilfsgüter auf 26.000 Lastwagen in den Gazastreifen gelangt, fügte die Behörde hinzu. UNRWA sei unfähig, die Güter zu verteilen und versuche dies durch die Verbreitung von Unwahrheiten zu vertuschen.
Die Angaben beider Seiten ließen sich nicht unabhängig überprüfen ...
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EU-Kommission | Greenwashing | Taxonomie
EuG verhandelt "Grünes Label für Atomkraft": "Nachhaltigkeit" vor Gericht
Österreich will eine Verordnung kippen, die Atomkraft und Erdgas als "nachhaltig" einstuft. Das Gericht der Europäischen Union verhandelt nun darüber.
Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehört die Atomkraft zu den Energiequellen, die in Europa mehr genutzt werden sollten. Zum Jahreswechsel 2021/2022 spiegelte sich das in einem von ihrer Kommission vorgelegten ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Taxonomie-Verordnung für Investitionen in "grüne Energieträger" wider, in der auch Atomkraft und Erdgas als "ökologisch nachhaltig" eingestuft werden. Österreich reichte dagegen vor zwei Jahren eine Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen Union (EuG) ein, die dieser am Montag und Dienstag verhandelt.
Österreich argumentiert dabei, die EU-Kommission dürfe nicht eigenständig derart weitreichende und politisch sensible Entscheidungen treffen, Atomkraft als nachhaltig zu treffen. Der delegierte Rechtsakt sei ohne Wirkungsfolgenabschätzung und öffentliche Konsultation von der EU-Kommission am 9. März 2022 angenommen und am 15. Juli 2022 im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden, erläutert die österreichische Regierung. Seit 1. Januar 2023 ist er in Kraft.
Auf dieser Argumentationslinie bewegte sich im Januar 2022 der Jurist Götz Reichert, Leiter der Abteilung für europäisches Energierecht am Centrum für europäische Politik. Er meinte, das Vorgehen der EU-Kommission dürfte vor dem EuG keinen Bestand haben, denn der Europavertrag verbiete es, "wesentliche Aspekte" durch einen delegierten Rechtsakt zu regeln ...
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Demokratie | Elon Musk | Stimmenkauf
Kritik an Wahlkampftrick Musks
Millionengeschenke könnten ein Problem werden
Kaum ein Wahlkampf weltweit ist so stark vom Geld dominiert wie der in den USA. Der Einsatz von Millionen Dollar durch Trump-Unterstützer Musk könnte nun aber zu weit gehen. Kritik der Demokraten an den Geschenken ist erwartbar, aber auch ein Rechtsexperte sieht einen illegalen Eingriff.
Der Tech-Milliardär und Trump-Unterstützer Elon Musk steht in der Kritik für seinen Plan, täglich eine Million Dollar an einen registrierten Wähler in besonders hart umkämpften US-Bundesstaaten zu verschenken. Der demokratische Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, sagte, dass sich Ermittlungsbehörden die Aktion anschauen könnten. Rechtsprofessor Rick Hasen argumentierte, Musks Vorgehen sei rechtswidrig. Der Tesla-Chef vergab derweil am Sonntag bereits die zweite Million in Pennsylvania, wo der Ausgang der US-Präsidentenwahl am 5. November entschieden werden könnte.
Musks Vergabe von einer Million Dollar (gut 900.000 Euro) "nach dem Zufallsprinzip" richtet sich an registrierte Wählerinnen und Wähler, die eine Petition unterzeichnen. Diese setzt sich für "die freie Meinungsäußerung und das Recht, Waffen zu tragen" ein und wurde von Musks Organisation "America PAC" ins Leben gerufen. Diese unterstützt den Wahlkampf des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.
[...] Trump hatte zuletzt angedeutet, dass Musk im Falle eines Wahlsieges an die Spitze eines Gremiums zur Überprüfung der US-Finanzen gesetzt werden könnte. Musk solle die Regierungsausgaben kürzen, so Trump. Der Milliardär beschwert sich oft über angeblich zu hohe Anforderungen von Behörden an Tesla und die ebenfalls von ihm geführte Raumfahrtfirma SpaceX.
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Afrika | Kolonialismus | Apartheid
Kolonialverbrechen im südlichen Afrika
Der weiße Terror
Vor nicht einmal fünfzig Jahren wehrten sich Weiße im südlichen Afrika brutal gegen das Ende ihrer Herrschaft. Aufgearbeitet ist das bis heute nicht.
Für Menschen und Nutztiere gilt Ausgangssperre ab Sonnenuntergang bis 12 Uhr mittags. Jeglicher Verkehr ist verboten, auch mit dem Fahrrad. Wer eine Anhöhe besteigt, wird erschossen. Hunde bleiben ganztägig angebunden oder sie werden erschossen. Kinder verlassen den Hüttenkreis nicht oder sie werden erschossen. Schulen und Geschäfte bleiben zu.
Diese Regeln erließ das weiße Siedlerregime von Rhodesien für Reservate der Schwarzen zum Höhepunkt des schwarzen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1978. In Rhodesien, das Ende des 19. Jahrhunderts als britische Siedlerkolonie gegründet wurde, herrschten damals 400.000 Weiße über 6,5 Millionen Schwarze.
Als Großbritannien seine Afrika-Kolonien in die Unabhängigkeit unter schwarzer Führung entließ und 1963/64 Nordrhodesien und Nyasaland als Sambia und Malawi frei wurden, konterten die Weißen in Südrhodesien mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung. Sie riefen 1965 einen eigenen Staat aus, der die weiße Herrschaft für tausend Jahre festigen sollte.
Scharfe Sanktionen aus London folgten. Im Bündnis mit Apartheid-Südafrika fühlten sich die „Rhodies“, wie sie sich nannten, zunächst sicher. Nachdem aber Freiheitskämpfer im benachbarten Mosambik 1975 die Unabhängigkeit von Portugal erkämpft hatten, hielt sich das weiße Rhodesien nur noch mit nacktem Terror. 1979 übernahm London wieder und organisierte freie Wahlen. 1980 entstand das unabhängige Simbabwe unter dem schwarzen Guerillaführer Robert Mugabe.
Ohne dieses Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts versteht man die Gegenwart nicht.
Aufarbeitung von Sklaverei und Kolonialismus ist heutzutage angesagt. Aber der weiße Terror, der sich vergeblich gegen den Untergang der Siedlerkolonien stemmte – Franzosen in Algerien, Briten in Kenia, Portugiesen in Angola und Mosambik, die Weißen in Südafrika, Südwestafrika und Rhodesien, wie die Länder damals hießen – wird meist ausgeblendet, vor allem im südlichen Afrika. Dabei ist das weniger als fünfzig Jahre her, und ohne dieses Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts versteht man die Gegenwart nicht ...
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Stromgewinnung | Thermoelektrisches Gerät | Thermoelektrizität
Dieses Gerät produziert Strom aus der Raumtemperatur
Die Gewinnung von nutzbarer Energie aus der Umgebungsluft ist kein neues Unterfangen. Nun ist es allerdings gelungen, ein Gerät zu entwickeln, dass ohne Temperaturgefälle, also in jeder Umgebung, arbeitet.
Japanischen Forscher:innen ist es gelungen, einen Prototyp eines neuen organischen thermoelektrischen Geräts zu entwickeln, das Energie aus Umgebungstemperaturen gewinnen kann. Thermoelektrische Geräte sind zwar nicht neu, unterliegen aber vielen Herausforderungen, die bislang ihr Potenzial einschränken.
[...] Der Schlüssel lag offenbar in Verbindungen, die die Elektronen leicht untereinander übertragen können. Nach verschiedenen Tests fand das Team die Verbindungen Kupferphthalocyanin (CuPc) und Kupferhexadecafluorphthalocyanin (F16CuPc).
Kompaktes Gerät erzeugt Strom ohne Temperaturgefälle
Das damit entwickelte Gerät kam ganz ohne Temperaturgefälle aus und brauchte dementsprechend auch keine aufwendige Kühlung. Dadurch wurde es sehr kompakt.
„Es gab erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung thermoelektrischer Geräte, und unser neues vorgeschlagenes organisches Gerät wird sicherlich dazu beitragen, die Dinge voranzutreiben“, erläutert Adachi und ergänzt: „Wir möchten weiter an diesem neuen Gerät arbeiten und sehen, ob wir es mit verschiedenen Materialien weiter optimieren können. Wir können wahrscheinlich sogar eine höhere Stromdichte erreichen, wenn wir die Fläche des Geräts vergrößern, was selbst für organische Materialien ungewöhnlich ist. Das zeigt nur, dass organische Materialien ein erstaunliches Potenzial haben.“
20. Oktober
IWF: Globale Staatsverschuldung steigt auf 100 Billionen US-Dollar
Wenn sich die Finanzchefs der Welt am Montag in Washington treffen, steht ein Thema ganz oben auf der Agenda: die globale Staatsverschuldung und ihre Folgen.
Die weltweite Staatsverschuldung hat ein Rekordniveau erreicht. Wie der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem jüngsten Fiscal Monitor berichtet, wird die Verschuldung bis Ende dieses Jahres auf 100 Billionen US-Dollar oder 93 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Treiber dieser Entwicklung sind hauptsächlich die USA und China.
IWF-Chefin Georgieva warnt vor "schwieriger Zukunft"
Wenn sich die Finanzminister und Notenbankchefs der 189 Mitgliedsländer am Montag in Washington zur Jahrestagung des IWF treffen, dürfte die Schuldenlast eines der drängendsten Themen sein. IWF-Chefin Kristalina Georgieva findet in einer Rede im Vorfeld deutliche Worte:
Unsere Prognosen deuten auf eine unerbittliche Kombination aus niedrigem Wachstum und hoher Verschuldung hin – eine schwierige Zukunft.
Die Regierungen müssten daran arbeiten, Schulden abzubauen und Puffer für den nächsten Schock aufzubauen, so Georgieva.
[...] Schuldenlast erschwert Kampf gegen Armut und Klimawandel
Die hohe Verschuldung droht nicht nur das Wachstum zu bremsen, sondern lässt den Staaten auch weniger Mittel, um drängende Probleme anzugehen. Die IWF-Chefin warnt davor, dass die schwache Konjunktur den Ländern die Mittel für die Armutsbekämpfung und den Kampf gegen den Klimawandel entziehen könnte.
Um die Schuldenlast zu bewältigen, werde es nicht ohne Einschnitte gehen, macht der IWF klar. Doch angesichts des Drucks, saubere Energie zu finanzieren, die alternde Bevölkerung zu unterstützen und die Sicherheit zu erhöhen, sei die politische Bereitschaft für Ausgabenkürzungen gering. Die "Risiken für die Schuldenaussichten" seien daher "stark nach oben gerichtet", so der Fonds.
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Renaissance | Small Modular Reactor | Supergau
Nukleare Renaissance?
KI-Boom belebt Zombie-Atomkraftwerke wieder
Microsoft, Google und Amazon setzen auf Kernkraft, um den gigantischen Stromhunger ihrer Rechenzentren für künstliche Intelligenz zu stillen. Doch ohne Staatshilfen dürfte die nukleare Wiedergeburt keinen Durchbruch erleben. Obwohl die Technik vielversprechend ist.
Was zurzeit im kleinen Örtchen Londonderry eine halbe Autostunde südöstlich von Harrisburg in Pennsylvania passiert, ist gleich in mehrfacher Hinsicht historisch. Erstmals belebt dort in den USA ein Stromanbieter einen alten Atomreaktor wieder. 2019 wurde Block 1 des AKW "Three Mile Island" stillgelegt. In einem exklusiven Deal hat sich Microsoft nun verpflichtet, 20 Jahre lang Strom aus dem alten Meiler abzunehmen, um den wachsenden Energiehunger seiner Rechenzentren zu stillen. Dafür soll der inzwischen 50 Jahre alte Zombie-Reaktor ab 2028 wieder hochgefahren werden.
Es ist ein bemerkenswerter Vorgang. Denn ausgerechnet der Ort, wo nun womöglich eine nukleare Renaissance beginnt, wäre fast zum Tschernobyl der USA geworden. In Block 2 von "Three Mile Island" kam es am 28. März 1979 zur partiellen Kernschmelze. Kontaminiertes Kühlwasser und radioaktiver Dampf entwichen, fast zwei Millionen Menschen in der Region waren von der nuklearen Wolke betroffen, Hunderttausende wurden evakuiert. Am Ende wurde der havarierte Meiler für fast eine Milliarde Dollar zurückgebaut.
[...] Supergau-sichere Mini-Meiler für eine saubere Zukunft
Die Online-Giganten investieren nicht nur in bestehende Alt-AKWs, sondern in vielversprechende neue Nuklear-Technik. So wie die Google-Mutter Alphabet, die in dieser Woche als weltweit erste Firma überhaupt einen Vertrag mit dem Atom-Startup Kairos Power abgeschlossen hat, um mit sechs oder sieben Mini-Meilern bis 2030 ihre Speicherhallen mit Strom zu versorgen. Die Idee ist, neue Datenzentren nicht mehr da zu bauen, wo die Atomkraftwerke sind, sondern die Meiler gleich dort mit zu errichten, wo auch neue Serverfarmen entstehen. Auch in Schweden gibt es bereits Pläne für solche dezentralen Mini-AKWs mit modularen, kleinen Meilern.
[...] Die Vision sauberer, rund um die Uhr verfügbarer Atomenergie für stromhungrige Rechenzentren ist vielversprechend. Doch ohne massive Subventionen dürfte die nukleare Renaissance nicht vom Fleck kommen. Nicht nur für den Bau eines Endlagers, sondern auch für die Entwicklung der Technik: Die Versuchsreaktoren von X-Energy und TerraPower werden jeweils zur Hälfte von den Firmen und vom Staat finanziert. Rund drei Milliarden Dollar haben die US-Steuerzahler die öffentlich-private Partnerschaft schon gekostet.
Und trotz aller Fortschritte sind die Endrisiken der neuen Nukleartechnik nur schwer absehbar. Eine mahnende Erinnerung sollte der Atomunfall in Three Mile Island selbst sein. Beim GAU Ende der 70er-Jahre war der brandneue Reaktor dort auf dem neusten Stand der damaligen Technik. Und gerade erst ein paar Monate zuvor in Betrieb gegangen.
Die Atomindustrie hat schon immer viel versprochen, aber warum dreimal „vielversprechend“ in einem Artikel? Ist der Autor den großen Versprechungen der Atomlobby vielleicht doch ein kleines bisschen auf den Leim gegangen?
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Klimaschutz | Methan | Fracking
Quaschnings Videokolumne
Quaschning erklärt: Fracking
Wir importieren immer mehr Frackinggas. Methan-Leckagen beim Erdgas-Fracking heizen die Klimakrise enorm an. Im Worst Case ist dann Erdgas sogar schädlicher als Kohle. Warum meinen immer noch viele, das Verbrennen von Erdgas sei völlig okay?
In Deutschland deckt Erdgas immer noch gut 30 Prozent unseres Energiebedarfs. Klimakrise? Energiekrise? Abhängigkeit von Putin? Ach, egal!
Obwohl: Pipeline-Gas aus Russland ist Geschichte. Wir setzen jetzt auf Fracking-Gas.
Für den Import haben wir im Expresstempo LNG-Terminals gebaut. Alternativen zu Erdgas? Die kommen später.
Vor allem in den USA wird großräumig Erdgas gefrackt. Dazu wird Wasser mit hohem Druck ins Erdreich gepumpt. Dadurch entstehen im Untergrund Risse. Die werden mit Sand und Chemikalien offen gehalten. Dabei werden ab und an mal auch das Grundwasser verseucht und Mikroerdbeben ausgelöst.
[...] Und haltet euch fest: Die massiven Klimaschäden durch Gasleckagen beim Fracking ruinieren nicht mal die deutsche Klimabilanz. Passiert ja nicht bei uns. Hurra, wir können uns weiter Klimaschutz auf die Fahne schreiben. Völlig absurd.
Einige Politiker:innen wollen nun sogar das Fracking in Deutschland erlauben. Aber zum Teufel, warum? Wir können unsere Energieversorgung doch auch problemlos und klimaneutral mit erneuerbaren Energien sicherstellen.
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Energiewende | Bundesnetzagentur | Netzentgelte
20. Oktober 2024 - Netzentgelte-Reform: 10 Millionen Haushalte profitieren von günstigerem Strom
Ab 2025 sinken die Netzentgelte für Millionen Haushalte im Norden und Osten. Die Bundesnetzagentur will die Kosten der Energiewende fairer verteilen.
Von der Änderung der Netzentgelte profitieren rund zehn Millionen Haushalte. Bisher wurden die Kosten für den Netzausbau, der für die Energiewende notwendig ist, auf die Kunden umgelegt, in deren Netz eingespeist wird. Diese sollen nun entlastet werden. Im Gegenzug steigen die Netzkosten in den Netzen, in denen mehr Strom verbraucht als aus erneuerbaren Energien eingespeist wird.
Die bisherige Praxis stammt noch aus der Zeit der stromtechnischen Einbahnstraße, als der Strom in rund 300 zentralen fossilen Großkraftwerken erzeugt und von dort in einem kaskadierten System über mehrere Spannungsebenen bis zu den einzelnen Haushalten verteilt wurde.
[...] Der Energiekonzern Eon teilte nach Meldung der Süddeutschen Zeitung mit, ″dass seine Verteilnetz-Töchter die Netzentgelte teilweise deutlich absenken. Diese Firmen decken etwa 700.000 Kilometer Stromleitungen ab und damit circa ein Drittel des gesamten deutschen Verteilnetzes.″
Bei Schleswig-Holstein Netz sollen laut der gleichen Quelle die Netzentgelte im kommenden Jahr um 27 Prozent sinken und die in Brandenburg tätige E.dis Netz GmbH will die Entgelte um 20 Prozent reduzieren. Bei der ebenfalls in Ostdeutschland aktiven Mitnetz mbH aus Cottbus soll es zehn Prozent günstiger werden. In Bayern will die Bayernwerk Netz GmbH die Netzentgelte um elf Prozent absenken und die Lechwerke um 27 Prozent. Auch bei anderen Firmen sinken die Entgelte zweistellig, wie beim kommunalen Netzbetreiber Wemag aus Mecklenburg-Vorpommern.
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Medien | Atomlobby | Steuergelder | Friends of MiK
Pleiten und Steuergelder
Die Medienberichte über die Atomindustrie haben eines gemeinsam: die immensen Kosten werden vertuscht, verharmlost oder sogar komplett ignoriert. Die großen AKW-Hersteller Westinghouse in Amerika, Framatome in Frankreich und viele andere haben hinreichend bewiesen, dass mit nuklearen Dampfmaschinen kein Gewinn zu machen ist. Sie alle haben Zuflucht unter staatlichen Rettungsschirmen gesucht und gefunden, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten.
Jeder Staat, der sich auf das „Abenteuer Atomkraft“ eingelassen hat, muss Geld aus anderen Haushaltsbereichen in den militärisch-industriellen Komplex umleiten, um die ständig steigenden Kosten der Atomindustrie zu bewältigen. Die Löcher in den Straßen und in den Kassen wachsen, Schulen und Krankenhäuser rotten vor sich hin. Wohin man auch schaut oder hört, nichts läuft mehr rund und es knirscht an allen Ecken und Enden. Das gilt für Amerika, China und Russland ebenso wie für alle anderen Länder, die glaubten, mit einer eigenen Atomindustrie in der ersten Liga mitspielen zu können.
Bling, bling und bumm, bumm
Das Dilemma der leeren Kassen hält jedoch keinen dieser „Taschenfüller“, „großen Staatsmänner“ und „Horrorclowns“ davon ab, immer mehr Schulden zu machen und Kredite aufzunehmen, um die eigene Macht, d.h. den Konsum ihrer korrumpierten Untertanen zu finanzieren, die u.a. mit billigem Futter und Fußball im Fernsehen bei Laune gehalten werden, sowie MiKs Atomkraftwerke, Waffengeschäfte und Kriege.
Die Umverteilung von unten nach oben wird mit dem Einsatz aller Mittel aufrecht erhalten. Die Atomindustrie und ihre Lobby tragen ihren Teil dazu bei, indem sie mit Milliardensubventionen große Atomprojekte für die Zukunft am Kochen halten, obwohl jedem klar ist, dass, wenn diese Projekte realisiert werden können, in zwei bis drei Jahrzehnten die erneuerbaren Energien sie längst überflüssig gemacht haben.
Well, everybody's talking, and no one says a word
Everybody's making love, and no one really cares
There's Nazis in the bathroom just below the stairs
Always something happening and nothing going on
There's always something cooking and nothing in the pot
They're starving back in China, so finish what you've got
1977 - John Lennon | Nobody told me
Die „neuen Projekte“ der Atomindustrie
Der flüssigsalzgekühlte Minireaktor, der mit TRISO-Brennelementen betrieben werden soll, ist der Versuch, zwei Reaktortypen, die beide auf Konzepten aus der Frühzeit der Reaktorforschung basieren, zu einem inhärent sicheren Reaktor zu verschmelzen: den Flüssigsalzreaktor und den Hochtemperaturreaktor.
Im Februar 2024 unterzeichneten das US-Energieministerium (DOE) und Kairos Power ein Technologie-Investitionsabkommen in Höhe von 303 Millionen Dollar zur Unterstützung von Entwurf, Bau und Inbetriebnahme des Versuchsreaktors. Dieser 1. KP-FHR-Testreaktor, Hermes, der von Kairos Power entwickelt wurde, und von dem die „Friends of MiK“ bei Google und Amazon schwärmen, befindet sich in der Bauphase. Hermes wird seit Juli 2024 auf der Clinch River Nuclear Site des Oak Ridge National Laboratory (ORNL) bei Knoxville, Tennessee, gebaut. Selbst wenn alles gut läuft, wird vor 2050 kein Strom aus diesem Reaktortyp geerntet.
Der einzige Salzschmelzenreaktor der derzeit in Betrieb ist, ist ein
Zwei-Megawatt-Flüssigbrennstoff-Thorium-Salzschmelze-Reaktor (MSR) in China
Wikipedia:
MSR-Entwicklung in China
Chinas Aufsichtsbehörde für nukleare Sicherheit hat im Juni 2023 eine Betriebsgenehmigung für den ersten Thoriumreaktor des Landes erteilt ...
Der Reaktor, ein Zwei-Megawatt-Flüssigbrennstoff-Thorium-Salzschmelze-Reaktor (MSR), befindet sich in der Wüstenstadt Wuwei in der Gobi-Wüste in der Provinz Gansu und wird vom Shanghai Institute of Applied Physics der Chinesischen Akademie der Wissenschaften betrieben.
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Atomkraft? Who cares!
Große IT-Konzerne wollen ihre Rechenzentren mit Kernenergie versorgen. Ein Grund zur Aufregung? Das würde die Technik wichtiger erscheinen lassen, als sie ist.
Microsoft tut es, Google tut es, nun auch Amazon: Sie investieren in Kernenergie und wollen damit künftig Rechenzentren klimaneutral betreiben. In Deutschland sorgt das für Aufsehen, gar Empörung. Die einen fragen: Atomkraft – wie können die nur!? Die anderen grummeln: Warum macht es Deutschland nicht genauso?!
Dabei wäre die angemessene Reaktion auf die Meldungen aus den USA ein souveränes Schulterzucken: Atomkraft – who cares? Denn die Meldungen sind weniger wichtig, als sie wirken, sie haben keine echte Relevanz für die globale Energiewende, schon gar nicht für Deutschland im Jahr 2024.
Das zeigt der Blick auf die weltweite Stromversorgung. Dort sinkt der Anteil der Kernenergie seit den Neunzigerjahren kontinuierlich, von einst 17,5 Prozent auf heute rund neun Prozent. Betrachtet man den Primärenergiebedarf, in den auch der Wärmeverbrauch einfließt, landet man je nach Schätzung bei gerade mal zwei bis vier Prozent.
Viel Wirbel um eine Nischentechnologie
Atomkraft ist also trotz der medialen Allgegenwart in Deutschland nicht mehr als ein energiepolitischer Statist. Eine Nischentechnologie, die nie die Erwartungen ihrer Befürworter erfüllen konnte – was auch so bleiben wird. Zum einen wegen des globalen Siegeszugs der Erneuerbaren, allen voran der Solarenergie, deren Ausbau sich seit Jahren exponentiell beschleunigt. China etwa hat vergangenes Jahr Solarparks mit einer Leistung von 216 Gigawatt eingeweiht, dagegen gerade mal zwei neue Atomkraftwerke, die weniger als zwei Gigawatt beisteuern. Insgesamt kommen in der Volksrepublik, von Befürwortern gerne als Zentrum einer nuklearen Renaissance gefeiert, gerade mal fünf Prozent des Stroms aus Kernenergie.
Der Grund dafür ist nicht Ideologie, sondern Ökonomie. Atomkraft, so hält es unter anderem die US-Investmentbank Lazard seit Jahren in ihren Berichten fest, ist einfach zu teuer. Pro Kilowattstunde kostet Strom aus neuen Kernkraftwerken heute mehr als Strom aus Solarzellen, Windrädern, Gasturbinen und Kohlemeilern. Und dabei sind noch nicht einmal die Kosten für die Endlagerung eingerechnet, die niemand seriös abschätzen kann.
Der hohe Preis neuer Kernkraftwerke hat mit Sicherheitsstandards zu tun, die Reaktoren nach Tschernobyl und Fukushima völlig zu Recht einhalten müssen. Aber er spiegelt auch wider, dass Nukleartechnologie die mit Abstand komplexeste Form der Stromerzeugung ist. Nötig sind hoch spezialisierte Lieferketten, Heerscharen von Fachingenieuren, Strahlenschutz, Genehmigungen, Projektmanagementkünste aus einer anderen Dimension.
Kein neues Atomkraftwerk in Europa oder den USA kommt daher ohne extreme Kostensteigerungen aus, zweistellige Milliardenbeträge und viele Jahre Verzögerung sind die Regel. Wodurch moderne Anlagen wie Hinkley Point C in England, Flamanville in Frankreich oder das Kernkraftwerk Vogtle im US-Bundesstaat Georgia selbst die größten deutschen Infrastrukturdebakel wie Pommesbuden wirken lassen, sei es nun Stuttgart 21 oder der Berliner Flughafen.
Wo Atomkraftwerke angeblich im Kostenrahmen gebaut wurden, zweifeln Experten an der Datenbasis. Etwa in Südkorea, wo sich Kostenschätzungen allein auf die nicht überprüfbaren Angaben der Nuklearindustrie stützen (Energy Policy: Koomey et al., 2017). Oder in Russland und China, wo stets undurchsichtige Staatsfirmen mit dem Bau beauftragt werden.
Kleine modulare Atomreaktoren sind bisher bloß Marketing
Microsoft will sich mit seinem Nuklearinvestment daher einen Neubau sparen und lieber einen stillgelegten Reaktor im Kraftwerk Three Mile Island wieder hochfahren. Amazon und Google unterstützen die Start-ups X-energy und Kairos Power, die neue Reaktorkonzepte entwickeln, sogenannte Small Modular Reactors. Sie sind kleiner als die heutigen Gigawattklötze, erfordern allerdings immer noch stattliche Industrieanlagen. Jedoch sollen sie, so das Versprechen, sicherer sein und sich in Serie herstellen lassen. Was langfristig die Kosten senken soll.
All das ist bisher allerdings bloß Marketing. Marketing, an dem unabhängige Fachleute erhebliche Zweifel haben. Sie räumen zwar ein, dass manche der sehr unterschiedlichen Designs der Small Modular Reactors Sicherheitsvorteile bringen könnten. Aber leider sind das just die Entwürfe, die technisch am anspruchsvollsten sind. Etwa weil sie auf bisher wenig erprobte Kühlmittel wie geschmolzene Salze setzen. Und damit kniffliger zu konstruieren sind als die Leichtwasserreaktoren, die bislang in den allermeisten Atomkraftwerken brummen, und obendrein erst aufwändig genehmigt werden müssen.
Ob man die Neuentwicklungen wirklich zur Serienreife bringen kann, und wenn ja, zu welchem Preis, ist daher völlig offen. Fest steht, dass die Nuklearlobby seit zwei Jahrzehnten für die kleinen Reaktoren wirbt. In fast allen Fällen blieb es bisher jedoch bei Konzeptstudien und vagen Absichtserklärungen.
Und dort, wo Projekte doch einmal Gestalt annahmen, sind die Erfahrungen ernüchternd. Vergangenes Jahr scheiterte etwa ein viel beachtetes Vorzeigeprojekt im US-Bundesstaat Idaho, weil die Kosten noch vor Baubeginn eskalierten: Pro Megawatt installierter Leistung sollte für die Small Modular Reactors der Firma NuScale plötzlich mehr Geld fällig sein als bei den teuersten herkömmlichen Atomkraftwerken, woraufhin die Investoren ausstiegen.
Klimaschutz geht besser mit anderen Technologien
Das heißt nicht, dass es anderen Projekten genauso ergehen muss. Aber man sollte die Ankündigungen der IT-Giganten nicht als Beleg sehen, dass die Kernenergie nun die immer wieder beschworene Renaissance erlebt. Vielmehr gerät hier ein kleiner Baustein einer größeren Strategie in den Fokus der Öffentlichkeit: Google, Amazon und Microsoft haben angekündigt, ihre Rechenzentren bis 2030 klimaneutral zu betreiben – was wegen des steigenden Strombedarfs von KI-Anwendungen wie ChatGPT immer schwieriger wird.
Die Konzerne investieren daher seit Jahren Milliarden in CO₂-neutrale Stromquellen: Solaranlagen, Windparks, Speicher, Smart Grids, Tiefengeothermie. Dass nun auch Gelder in Kernkraftprojekte fließen, überrascht daher nicht, zumal schon heute viele IT-Rechenzentren Atomstrom nutzen – schließlich speisen in den USA aktuell 94 klassische Kernreaktoren Strom ins Netz.
Außerdem sieht selbst der Weltklimarat IPPC Atomkraft als Teil des Kampfes gegen den Klimawandel. Keine seiner Prognosen für die globale Energiewende bis 2050 kommt ohne sie aus – allein weil viele der heutigen Atomkraftwerke noch Jahrzehnte laufen werden. Und weil der Energiehunger der Welt in den kommenden Jahrzehnten so stark steigen wird, dass jede klimaneutrale Stromquelle gebraucht wird.
Nur: Neue Atomkraftwerke, ob klein oder groß, dürfte es dabei vor allem in Ländern geben, die sich mehr davon versprechen als Strom aus der Steckdose, so war es bei der Atomkraft schon immer. Selbst in Deutschland, das vor allem deshalb in den Sechziger- und Siebzigerjahren in die umstrittene Technologie einstieg, weil es damals politisch schick war. Und wohl auch, weil Männer wie Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß mit der Atombombe liebäugelten.
Geopolitik wird die Kernenergie am Leben halten
Bis heute ist Atomkraft keine bloße Energietechnologie, sondern ein Werkzeug der Geopolitik. China und Russland etwa lassen ihre Staatsfirmen gezielt Kraftwerke in Ländern bauen, in denen sie ihren Einfluss vergrößern wollen, sei es die Türkei, Ungarn, Tschechien oder Rumänien. Die dann auf Know-how und Brennstäbe aus Moskau oder Peking angewiesen sind.
Seit ein paar Jahren wollen die Atommächte des Westens – USA, Frankreich, Großbritannien – dem nicht länger zuschauen. Und haben daher selbst einen Vorstoß gestartet, heimische Atomtechnologie zu exportieren. Mit dieser Triple-Pledge-Intiative will man die weltweit installierte Kernkraftkapazität bis 2050 sogar verdreifachen. Vordergründig soll das dem Klima dienen. Aber die westliche Allianz will damit garantiert auch der nuklearen Einflussnahme aus Fernost Einhalt gebieten.
Analysten halten einen starken Zubau der Atomkraft für illusorisch – zu teuer, zu kompliziert, zu wenige Firmen, die Kernkraftwerke wirklich bauen können. Aber die großen Atommächte werden es weiter versuchen. Denn sie haben neben einem wirtschaftlichen eben auch ein militärisches Interesse daran. Formell sind zivile und militärische Nutzung der Kernspaltung zwar klar getrennt. De facto profitiert jede Atombombennation aber von den Lieferketten, dem Know-how und den Fachkräften, die eine prosperierende zivile Nuklearindustrie mit sich bringt.
Atomkraftwerke werden daher noch viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, eine Rolle auf der Welt spielen. Wegen ihrer geopolitischen Bedeutung, ihrer einflussreichen Lobbyisten – und wohl auch wegen des Klimawandels. Das kann man verwerflich finden, moralisch verurteilen. Aber kann es irgendwer in Deutschland ändern? Wohl am ehesten dadurch, dass man souverän mit den Schultern zuckt. Und zeigt, dass es auch ohne Atomkraft geht.
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Hintergrundwissen
Die Karte der nuklearen Welt
Die Zahl der Reaktor-Neubauten sinkt, die Atomlobby prophezeit der Atomenergie eine strahlende Zukunft ...
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Die "Interne Suche"
Energiewende | SMR | Künstliche Intelligenz
17. September 2024 - Transformation in Sachsen Wirtschaft trommelt für Erneuerbare
10. Juli 2024 - Haleu-Uran für Kleinreaktoren ist waffenfähig
4. Juli 2024 - Energieexperte zu Solaranlagen aus China „Fürs Klima eher positiv“
31. Mai 2024 - ChatGPT-Entwickler enttarnen mehrere staatliche Desinformationskampagnen
21. März 2024 - Mini-Atomkraftwerke in der Kritik „Fantastereien“ der Atomlobby
04. Mai 2023 - Hirnscanner: US-Forscher kommen mit KI dem Gedankenlesen näher
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Bundeszentrale für politische Bildung
Energiewende
(erneuerbare Energien)., (EEG-Umlage)
die dauerhafte Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft mit Energie wie Strom und Wärme aus nachhaltig nutzbaren, erneuerbaren oder regenerativen Quellen (erneuerbare Energien). Durch die Energiewende soll der Anteil der fossilen Energieträger wie Erdöl, Erdgas, Kohle und der Kernenergieanteil am Energiemix in Deutschland zugunsten der erneuerbaren Energien verringert werden. Zu den erneuerbaren Energien gehören insbesondere Energien aus Wind- und Wasserkraft (z. B. Windenergieanlagen, Wellen- und Strömungsenergie des Meeres), aus Erdwärme (Geothermie) oder aus Sonnenstrahlung (Solarenergie) sowie aus nachwachsenden Rohstoffen bzw. Biomasse (z. B. Energie aus Holz, Pflanzenöl, Biogas). Die Energiewende baut auf die Steigerung der Energieeffizienz, eine Senkung des Energieverbrauchs und den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Nachfrage abzudecken. Das Ziel der Bundesregierung ist es, den Primärenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 gegenüber 2008 um 20 Prozent zu senken und bis 2050 zu halbieren.
In Deutschland wurde im Juni 2011 von der Bundesregierung in Anbetracht der Nuklearkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima vom März 2011 ein stufenweiser Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 beschlossen und der Atomausstieg gesetzlich geregelt. Danach erlischt die Betriebsgenehmigung für ältere Kernkraftwerke; der komplette Ausstieg aus der Kernenergie soll bis zum Jahr 2022 stattfinden ...
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Wikipedia
Studien und Gutachten
BASE/Öko-Institut (2021)
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat am 10. März 2021 ein umfangreiches Gutachten präsentiert, das 136 verschiedene historische sowie aktuelle Reaktoren bzw. SMR-Konzepte betrachtet, 31 davon besonders detailliert. Das vom Öko-Institut im Auftrag des BASE erstellte Gutachten liefert eine Einschätzung zu möglichen Einsatzbereichen, der Endlagerfrage, Sicherheitsfragen und der Proliferations-Gefahr.
Ergebnisse des Gutachtens sind unter anderem:
- Um weltweit dieselbe elektrische Leistung zu erzeugen wie mit üblichen Atomkraftwerken, sei der Bau von vielen tausend bis zehntausend SMR-Anlagen notwendig.
- Gegenüber Atomkraftwerken mit großer Leistung könnten zwar einzelne SMR potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie pro Reaktor ein geringeres radioaktives Inventar aufweisen. Die hohe Anzahl an Reaktoren, die für die gleiche Produktionsmenge an elektrischer Leistung notwendig ist, erhöhe das Risiko jedoch insgesamt um ein Vielfaches.
- Anders als teilweise von Herstellern angegeben, müsse davon ausgegangen werden, dass bei einem schweren Unfall die radioaktiven Kontaminationen deutlich über das Anlagengelände hinausreichten.
- Durch die geringe elektrische Leistung seien bei SMR die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken. Eine Produktionskostenrechnung unter Berücksichtigung von Skalen-, Massen- und Lerneffekten aus der Nuklearindustrie lege nahe, dass im Mittel 3.000 SMR produziert werden müssten, bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion lohnen würde.
- Bei einem Wiedereinstieg in die Atomenergie seien wiederum lange Betriebs-, Sicherheits- und Störfallrisiken in Kauf zu nehmen. Umfangreiche Zwischenlager- und Brennstofftransporte seien weiterhin erforderlich. Auch ein Endlager sei in jedem Fall weiter erforderlich.
- Die Verwendung von bereits vorhandenen Uranreserven durch Partionierungs- und Transmutations-Konzepte (P&T) sei nur anwendbar für abgebrannte Brennstäbe. Allerdings seien 40 Prozent davon in Deutschland bereits wiederaufgearbeitet. Die daraus entstandenen verglasten Abfälle seien nicht für P&T-Verfahren zugänglich.
- Zwar könnten bestimmte Transurane wie Plutonium in ihrer Menge reduziert werden, auf der anderen Seite würde jedoch die Abfallmenge für andere langlebige radioaktive Spaltprodukte ansteigen, z. T. sogar um bis zu 75 Prozent (Cäsium-135) gegenüber der ohne P&T einzulagernden Menge.
- Schließlich bliebe die Gefahr, dass das im P&T-Verfahren notwendigerweise abzutrennende Plutonium leichter für Waffenherstellung zugänglich wäre.
In der kritischen Gesamtbewertung heißt es: Keine der diskutierten Technologien sei derzeit und absehbar am Markt verfügbar. Gleichzeitig würden sie mit ähnlichen Versprechen wie zu den Reaktoren in den 1950ern und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angepriesen.
Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz (KI), auch artifizielle Intelligenz (AI), englisch artificial intelligence, ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen befasst. Der Begriff ist schwierig zu definieren, da es bereits an einer genauen Definition von Intelligenz mangelt.
Ein Versuch der Definition von Intelligenz ist, dass sie die Eigenschaft sei, die ein Wesen befähigt, angemessen und vorausschauend in seiner Umgebung zu agieren; dazu gehört die Fähigkeit, Umgebungsdaten wahrzunehmen, d. h. Sinneseindrücke zu haben und darauf zu reagieren, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und als Wissen zu speichern, Sprache zu verstehen und zu erzeugen, Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Praktische Erfolge der KI werden schnell in die Anwendungsbereiche integriert und zählen dann nicht mehr zur KI.
Künstliche Intelligenz#Kritik an der KI-Forschung
Stephen Hawking warnte 2014 vor der KI und sah darin eine Bedrohung für die Menschheit. Durch die KI könnte das Ende der Menschheit eingeleitet werden. Ob die Maschinen irgendwann die Kontrolle übernehmen werden, werde die Zukunft zeigen. Aber bereits heute sei klar, dass die Maschinen die Menschen zunehmend vom Arbeitsmarkt verdrängen ...
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Playlist - Radioaktivität weltweit ...
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